Editorial
Hunger-Durst-Gefühl
Libe Leserinnen und Leser, neulich war ich mit einem Bekannten in Grünau unterwegs. Er wollte sich schon lange mal den Stadtteil anschauen, den er als Neuleipziger nur vom Hören-Sagen kennt und so bot ich mich an, ihn an diverse interessante Orte zu führen.
An der Stuttgarter Allee überkam ihn ein unbändiges Hunger-Durst-Gefühl und so steuerten wir den nahen Konsum an. Konsum, ja das war meinem Bekannten ein Begriff. In ganz Leipzig gibt es etliche kleine, schnuckelige und gut sortierte Läden der regionalen Einzelhandelskette.
Als wir uns aber dem Grünauer Markt näherten, fragte er ernsthaft verwundert: »Hat der überhaupt offen?«
Er hatte offen – obwohl die verschwundene Bäckertheke bereits von der nahenden
Schließung kündete. Seinem knurrenden Magen gehorchend, begab sich mein Bekannter auf Nahrungsmittel-Suche und war zusehends irritiert. Wo waren die ausladenden Obst- und Gemüsetheken gehüllt in einen
leichten Sprühnebel, was einem garantierte Frische suggeriert?
Wo die exklusiven Weinregale, an denen ein Sommilier nur darauf wartet, Liebhaber edler Trauben fachmännisch zu beraten (wie beim Konsum in der Industriestraße)? Wo die feine Süßwarenabteilung, an der man nicht vorbeikommt, ohne wenigstens eine Tafel Schokolade mitzunehmen? Wo die erlesenen Käse- und Wurstsorten aus aller Herren Länder? Wo? Wo? Wo?
Dass Konsum nicht gleich Konsum ist, war mir im direkten Vergleich mit Filialen in anderen Leipziger Stadtteilen wohl auch schon aufgefallen. Betritt man die Märkte in Schleußig oder der Südvorstadt, kann
man das ausgeklügelte Konzept gewiefter Werbestrategen durchaus erahnen. Wer hat nicht schon mal viel mehr gekauft als man eigentlich wollte, weil das Sortiment »nimm mich«
säuselte?
Einkaufen ist ein sinnliches Vergnügen. Wenn ich Zeit und Muse habe, lasse ich mich gern vom Angebot inspirieren und von einer netten Atmosphäre auch mal zu kleinen Extras animieren. Gern gehe ich beispielsweise in den Konsum in der Selliner Straße. Auch wenn diese Filiale längst nicht mit den oben erwähnten mithalten kann, ist es hier fast heimelich. Ein kurzer Gang durch die Regalreihen, ein netter Plausch an der Kasse – so wünscht man sich das als Kunde.
Das komplette Gegenteil musste ich beim selben Unternehmen in der Alten Salzstraße erleben: Auf meine Frage, wo ich denn den Tofu fände, bekam ich recht unfreundlich zur Antwort, man sei hier in Grünau. Hmm ... Service geht irgendwie anders. Da verwundert es auch nicht, dass der Konsum hier im Stadtteil im Laufe der vergangenen Jahre deutlich an Kunden verloren hat und damit in einzelnen Filialen so defizitäre Bilanzen aufweist, dass diese umgehend geschlossen werden müssen.
Sicherlich war es vor einigen Jahren keine ganz faire Entscheidung, dem Konsum im WK 2 mit Netto einen deutlich günstigeren Discounter direkt vor die Nase zu setzen. Aber die Taktik, auch nicht ansatzweise mit der Konkurrenz in einen Wettbewerb zu treten, konnte nur schief gehen.
Laut Auskunft des Unternehmens richtet der Konsum »seinen genossenschaftlichen Gedanken unverändert an die gesamte Region«
. Das klingt irgendwie nach einer Entschuldigung, die keiner
verlangt hat und doch könnte der Konsum dieses Ansinnen bald unter Beweis stellen. Nämlich dann, wenn es um die Nachnutzung ihrer beiden leer werdenden Kaufhallen, sowie die Entwicklung anderer Liegenschaften
im Bereich der Alten Salzstraße geht.
Die Stadt zeigt sich sehr interessiert an einer gemeinsamen Konzeption, um die Standorte voranzubringen. Lieber Konsum, denken Sie genossenschaftlich und engagieren Sie sich bitte auch in der Region Grünau.
Ihre Klaudia Naceur