Auf zu neuen Abenteuern
Unterwegs mit Grünauer Pfadfindern
Es ist einer jener heißen Nachmittage mitten im September. In Wandermontur mit Rucksack, Taschenmesser, Trinkflasche und allerlei Outdoor-Equipment stehe ich auf dem Lidl-Parkplatz am westlichen Rand des Stadtteils und warte. Ich bin verabredet mit Grünauer Pfadfindern, die mittwochs ihren wöchentlichen Gruppennachmittag abhalten.
Ich möchte sie begleiten und bin gespannt, was auf mich zukommt. Gruppenleiter Mario Berthold hat am Telefon nur so viel verraten: »Bei dieser Hitze können wir nur in den Wald gehen.«
Während ich mich an ein schattiges Plätzchen unter Bäumen wünsche, leert sich meine Flasche zusehends. Gerade als ich überlege, ob ich mir nicht schnell Nachschub besorgen sollte, hält ein Auto an. Aus ihm
steigt eine Frau: Sportlich, die langen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, in Pfadfinderkluft mit – na klar – dem typischen Halstuch.
Janet Forner ist eigens aus dem Erzgebirge angereist, um vertretungsweise die Gruppenstunde zu übernehmen. Lächelnd geht sie zu einem Jungen, der mit seiner Mutter ebensolange der brennenden Sonne getrotzt
hat, wie ich. Der zehnjährige Luckas ist erst das dritte Mal bei einem Treffen dabei, aber Mutter und Sohn sind sich einig: »Das ist sein Ding!«
. Natur, Rumstromern, Abenteuer, Freunde.
Luckas bisheriger Höhepunkt war eine Paddeltour, mit Kochen am Lagerfeuer auf »so einer Insel«
. Seit Kurzem wohnt die Familie im nahen Miltitz. Mario Berthold haben sie während einer
Klassenfahrt in Johanngeorgenstadt kennen gelernt, wo der Förderkreis Sächsischer Pfadfinder seinen Vereinssitz hat und ein Schullandheim betreut.
Auch die Grünauer Gruppe gibt es noch nicht lange und sie ist ziemlich klein, wie ich schnell merke. Im Wagen mit den abgedunkelten Scheiben sitzen noch Alexander (12) und Jamie (11) – die Brüder sind seit etwa einem Jahr Pfadfinder, lebten zuvor in Böhlen und als die Familie im Sommer nach Grünau zog, hat sich die Sektion einfach mit hierher verlagert. Das alles erfahre ich in fünf Minuten Kennenlerngespräch. Ich bin im Bilde. Es geht los.
In Erwartung einer längeren Wegstrecke (Wo um Gottes Willen ist hier der nächste Wald?) habe ich mein Fahrrad gegen einen Roller getauscht. Doch die Fahrt ist nach wenigen hundert Metern schon wieder vorbei. Am Miltitzer Park klettern Janet und die drei Jungs fröhlich schwatzend aus dem Auto. Nun lerne ich auch Alex und Jamie kennen. Beide in zünftigen schwarzen Lederhosen, Alex trägt sein – durch Prüfungen verdientes Halstuch – sichtbar stolz. Jamie hingegen ist noch unbetucht.
Im Kofferraum findet sich noch allerlei Material, was mit in den Park geschleppt werden muss. Das Wichtigste ist heute der Verbandskasten. Denn die Pfadis lernen »Erste Hilfe«
. Wir
suchen uns ein schattiges Plätzchen. Die Gruppenstunde beginnt mit einem Begrüßungsritual. Ich habe es mir auf einem Stein im beschaulich lauschigen Park bequem gemacht und schaue einfach zu. Derweil Luckas,
Alex und Jamie Fragen beantworten, eine Trage aus Decke und zwei Stöcken bauen, den Verbandskasten inspizieren, Unfälle nachstellen und sich gegenseitig behandeln müssen. Der kleine Trupp fällt auf.
Immer wieder bleiben Spaziergänger stehen – unschlüssig, ob sie den vermeintlich verwundeten Kindern helfen sollen. Mit Kopf-, Bein- und Armverbänden versuchen die jungen Pfadfinder, welche im Übrigen noch
der Altersgruppe der »Wölflinge«
angehören, kichernd jede der ihnen übertragenen Aufgaben zu meistern.
Immerhin ist das nicht nur so eine Übung, sondern Training für den bevorstehenden Lauterburglauf in Coburg Anfang Oktober. Dieses Pfadfindertreffen findet einmal im Jahr statt und ist das älteste bundesweit. Hunderte Kinder und Jugendliche messen sich in verschiedenen Disziplinen. Während einer Wanderung durch die Natur erwartet sie unter anderem: Kothenschnellaufbau (Kothen sind spezielle Zelte, die aus Kothenblättern, einer Plane, Stöcken und einem Kreuz bestehen), Singeposten, Erste-Hilfe-Posten und das Abfragen der Pfadfindergeschichte.
Alex war als einziger schon einmal dabei und er schwärmt noch heute davon. Für ihn sind die Gruppenfahrten ohnehin das Schönste, was es gibt. Und die sind vielfältig: Sie fahren zum Boofen (Übernachten
unter freiem Himmel) in die Sächsischen Schweiz, ins Schullandheim nach Johanngeorgenstadt oder nach Bayern ... die Liste der Ziele ist lang. Manchmal geht es mit der Gruppe aber auch »nur«
ins Schwimmbad. Ferienfreizeit nennt sich das. Aber gab es das nicht alles schon einmal – früher bei den Pionieren und noch viel früher in den Jugendbünden?
»Ja, klar«
, bestätigt mir die gelernte Erzieherin Janet Forner. Das sei auch der Grund, warum die Pfadfinder manchmal etwas misstrauisch beäugt würden. »Wir machen klassische
Kinder- und Jugendarbeit. Die Kids kommen raus, ziehen mit dem Rucksack los, erleben Abenteuer, Handys sind tabu. Natürlich wirkt das in der heutigen Zeit ein wenig antiquiert. Aber warum soll das, was
Kindern vor 40 Jahren Spaß gemacht hat, heute keine Freude mehr bringen?«
Bei mir bedarf es keiner großen Überzeugungsarbeit. Ich schwelge schon den ganzen Nachmittag in Erinnerungen an diverse Pionier- und Ferienlager, Manöver und Nachtwanderungen. Lustig war das (fast) immer und es hat (fast) nichts gekostet. Und heute? Die Mitglieder zahlen im Jahr etwa 30 Euro Beitrag. So viel, wie in manch einem Verein monatlich anfällt. Damit auch Kinder aus sozial schwachen Familien diverse Angebote wahrnehmen können, werden sie zusätzlich vom Förderkreis unterstützt.
Doch zurück in den Miltitzer Park an jenem heißen Tag im September. Eineinhalb Stunden sind wie im Flug vergangen. Die extra mitgeschleppte Ausrüstung habe ich nicht gebraucht – dafür aber drei echt coole Jungs getroffen, die wohltuend anders daherkommen und offensichtlich Spaß an den Dingen haben, die das Leben jenseits der üblichen Rasanz und Technisierung bereithält. Als ich mich am frühen Abend verabschiede, ahne ich nicht, dass ich Alex und Jamie schon ein paar Tage später wiedersehe – die Kulkirunde laufe ich in diesem Jahr in Begleitung von zwei waschechten Pfadfindern. Auf zu neuen Abenteuern...
Magda