Bauen, Tanzen, Talken
Ferienprojekt beschäftigte sich mit Grünaus Zukunft
Im Grünauer Jubiläumsjahr war viel von der 40-jährigen Geschichte des Stadtteils die Rede. Wie wurde er gebaut, wie verändert, was ist in all der Zeit geschehen? An Vergangenheit kann man erinnern, sie interpretieren. Ändern kann man sie nicht. Anders sieht das mit der Zukunft aus. Sie lässt sich aktiv mitgestalten oder zumindest erst einmal erträumen.
Der Workshop »Grünau in die Zukunft«
, welcher im Juli in der Völkerfreundschaft angeboten wurde, hatte genau dies zum Ziel. »Lasst uns gemeinsam das Grünau unserer kühnsten
Fantasien, und was man dort alles erleben kann, entdecken!«
, riefen die Projektleiter*innen Cora Czarnecki, Lina Ruske und Philipp Rödel interessierte Kids auf. Vier Wochen lang wurde der Völle-Saal
zur Zukunftswerkstatt und gipfelte im abschließenden Fest der Utopien.
Die drei HGB-Studenten, beziehungsweise -Absolventen waren nicht zum ersten Mal in Grünau. 2015 näherten sie sich zusammen mit den Kindern und Jugendlichen des KiJu auf eindrucksvolle Weise den Ursachen und Auswirkungen von Krieg und Flucht, im Frühsommer waren sie zu Gast im Förderzentrum für Erziehungshilfe und forschten künstlerisch mit Schülern der 7. und 9. Klassen zu Themen wie Ausgrenzung, Toleranz und Rassismus.
Inhaltlich sind sie sich auch beim jüngsten Projekt treu geblieben. »Nach der Woche im KiJu stand für uns fest, dass wir hier weiterarbeiten möchten«
, sagt Lina. »Aber wir
wollten weg von 'Alles ist schlimm!' und hin zu 'Wie wird es besser?'.«
Schnell war auch klar, dass die nächste Aktion im Zentrum des Stadtteils, in der Völkerfreundschaft stattfinden soll, da dort
ein anderes Klientel zu erwarten sei.
Tagtäglich wird die große Freizeiteinrichtung auf der Stuttgarter Allee von sehr vielen Kindern angesteuert, darunter ein hoher Prozentsatz mit ausländischen Wurzeln. »Für unser Anliegen war es
natürlich günstig, dass die Kids aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen stammen. Schließlich geht es ja in der Zukunftsvision darum, wie wir alle perspektivisch zusammenleben und gut miteinander klar
kommen«
, erklärt Philipp den Projektansatz.
So die Theorie, die aber gar nicht im Vorfeld erläutert und besprochen werden musste. Denn in der Praxis ist der angestrebte Austausch zwischen den rund 50 jungen Workshop-Teilnehmern, die sonst eher getrennte Freizeit-Wege gehen, dann ganz automatisch einfach passiert.
Gemeinsam bauten sie aus riesigen Pappkartons fantasievolle Häuser, bemalten und verzierten diese. Dazu hatte Philipp Grünaus Straßenzüge auf den Boden des großen Saales übertragen, auf der sich die
kleinen Baumeister wiederfinden konnten. Bei Cora hatten sie die Möglichkeit, ein Fernsehstudio zu kreieren, Songtexte zu schreiben, Tänze einzustudieren und sich dabei gegenseitig zu filmen. Entstanden sind
außerdem ein verrücktes Märchen, in dem »Rapunzel«
und »Schneewittchen«
kurzerhand zusammengewürfelt wurden, sowie kleine Filme nach Youtube-Chanel-Vorbild. »Die
Intention kam überwiegend von den Kindern selbst«
, so Cora. »Man muss da nichts überstülpen und das wollten wir auch nicht.«
Den dritten Projektbaustein hatte Lina übernommen: Sie animierte die Kids zu äußerst amüsanten Gesprächsrunden, die selbstverständlich auch aufgenommen und ausgestrahlt wurden. Bei den Talkshows kamen sie sich aber nicht nur untereinander näher, sondern auch mit interessanten Leuten aus Grünau in Kontakt. So saßen unter anderem Allee Center-Managerin Petra Köhler, Aktionskünstler Daniel Theiler, KiJu- Mitarbeiterin Fanny Fischer und KOMM-Haus-Chef Uwe Walther auf der Studio-Couch und wurden gehörig ausgequetscht.
»Einmal hatten wir Geflüchtete aus Syrien eingeladen«
, erinnert sich Lina. »Moderiert wurde das ganze von zwei Mädels, die sich zuvor ein bisschen abfällig gegenüber Migranten
geäußert haben. Ich glaub schon, dass das Zusammentreffen etwas bei ihnen bewirkt hat.«
Wenn sich Kunst also messbar machen müsste, wäre dies ein Erfolg. Genauso wie der Umstand, dass sich die
Kinder und Jugendlichen über einen so langen Zeitraum für die Zukunftswerkstatt begeistern ließen. Ein Grund, warum das so gut funktionierte, könnte das sehr offene Konzept des Ferienangebotes gewesen sein.
»Beim KiJu-Projekt stand mehr das Ergebnis im Vordergrund – diesmal das Machen«
, stellt Philipp klar. Trotzdem konnte sich das Resultat nach vier Wochen Arbeit durchaus sehen lassen.
Beim Fest der Utopien Ende Juli wurde dies der Öffentlichkeit präsentiert. Eltern, Freunde und unbeteiligte Besucher konnten sich einen Eindruck darüber verschaffen, wie die jüngeren Grünauer – manche im Stadtteil geboren, manche erst seit drei Wochen hier – ihr näheres Umfeld sehen, welche Lieblingsplätze sie haben, welche Sorgen, was ihnen fehlt, wie sie künftig leben möchten. Ein Erkenntnisgewinn, der lohnt, in künftige Vorhaben mit einbezogen zu werden.
Cora Czarnecki, Lina Ruske und Philipp Rödel haben die Erfahrungen in der Völle dazu gebracht, sich auch künftig in Grünau zu engagieren. Als Projektgruppe »greater form«
möchten die
drei jungen Leute einen zentral gelegenen Laden eröffnen und dort mit Kindern künstlerisch arbeiten – zunächst ganz offen. Die Themen und Gruppenstrukturen würden sich dann schon finden. Ziel seien dauerhafte
Ausstellungsräumlichkeiten mit Werkstattcharakter, der zum Treffpunkt aller Generationen werden soll. Lina: »Letztlich ist es auch ein Ergebnis des Workshops. Den Kids und uns ist aufgefallen, dass
es das in der Art noch nicht gibt«
. Läuft alles nach Plan, startet Grünau ab kommendem Frühjahr in eine künstlerische Zukunft.