Thuy The Ludwig traut sich was
Private Initiative rettet Konsum-Kaufhalle vor Verfall
Als die Konsum-Genossenschaft zum Jahresende 2016 aus ihrer Filiale in der Selliner Straße auszog, wurde es einsam für Thuy The Ludwig. Seit zwölf Jahren betreibt die gebürtige Vietnamesin, die mit 18 Jahren als Vertragsarbeiterin in die DDR kam, hier ihren Beruf erlernte und noch vor der Wende von einer deutschen Familie adoptiert wurde, ihr gleichnamiges Mode geschäft im abgetrennten Teil der einstigen Kaufhalle im typischen DDR-Baustil.
2005 war der Markt aufwendig saniert worden und beherbergte neben Konsum und Modeshop noch weitere Läden. Ein echtes Novum zur damaligen Zeit. Doch dieser Zustand war nicht von langer Dauer. Erst ging Schlecker, dann gab auch der Schuster auf, der Bäcker folgte und schließlich machte der Konsum dicht. Thuy The Ludwig stand plötzlich alleine in einer riesigen leeren Halle und kam sich sehr verloren vor. »Das war ganz schön komisch«, kommentiert die 49-Jährige ihre sechsmonatige Einsamkeit.
Während Fenster und Türen der Fassade immer bunter wurden, so dass kaum noch ein Blick ins Innere möglich war, überlegte die geschäftstüchtige Grünauerin, was sie unternehmen könnte. Aufgeben kam für sie nie in Frage. »Ich wollte hierbleiben. Ich liebe die Leute, habe viele Stammkunden. Sie sind für mich wie eine Familie«, sagt die sympathische Frau lächelnd. Schon einmal stand Ludwig vor einer unfreiwilligen Veränderung. Das war als die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB) verkündete, den Elfgeschosser in der Brackestraße abzureißen. In der Ladenzeile im Erdgeschoss befand sich seit 1991 Ludwigs Modegeschäft. Damals nutzte die gelernte Schneiderin die sich bietende Chance und zog in die gerade frisch sanierte Konsum-Filiale. Damit hatte sie nicht nur eine neue berufliche Heimat gefunden, sondern konnte in den neuen Räumlichkeiten ihre Verkaufsfläche auch noch auf das Doppelte vergrößern.
Nun steht Ludwig vor neuen Herausforderungen. Nicht wenige hatten geglaubt, dass sie ihren Laden im angeschmuddelten Gebäude über kurz oder lang ebenfalls aufgibt. Doch die zierliche Frau wurde aktiv, hatte Visionen und ging mit ihren Ideen beherzt auf die Konsum-Genossenschaft zu. Ein Asia-Markt in Kooperation mit anderen Geschäftsleuten schwebte ihr vor: Mode, Lebensmittel und ein Restaurant – eine runde Sache. Aus diesen Plänen wurde jedoch vorerst nichts. Denn der Konsum ließ sich zunächst lediglich auf einen Mietvertrag über fünf Jahre ein, um etwaige Entwicklungen am Standort abzuwarten und erneut zu entscheiden, was mit dem Markt geschehen soll. Denn Ludwig ist bei Weitem nicht die Einzige, die bereits Pläne für die Immobilie geschmiedet hat. So wurde bei spielsweise darüber nachgedacht, dass man mit KOMM-Haus und Bibliothek-Süd ein schickes Mini-Bildungszentrum für den WK 8 schaffen könnte.
Doch zurück zum Asia-Markt: Die Fünf-Jahres-Perspektive war gleichsam das vorläufige Aus für ein integriertes Lokal. Interessierte Gastronomen winkten gleich ab. Zu hohe Investitionskosten bei zu hohem Risiko, alles nach Ablauf wieder aufgeben zu müssen. Von dieser Idee musste sich Thuy The Ludwig schweren Herzens wieder verabschieden. Aber auch dieser Dämpfer konnte ihren einmal erweckten Enthusiasmus nicht wirklich bremsen. Kurzerhand beschloss sie, die vergleichsweise riesige Fläche selbst zu belegen. »Ich wollte mich sowieso schon lange vergrößern. Der Laden ist ganz schön voll. Ich habe mein Angebot immer mehr erweitert, damit vor allem die älteren Leute nicht erst woanders hinfahren müssen, um einzukaufen«, erzählt die pragmatische Unternehmerin, wie sie zu ihrem Entschluss kam.
Nun ist sie Herrin über 350 Quadratmeter und seit Wochen damit beschäftigt, diese einzurichten. Freunde, Familie und eine unverhoffte Helferin, die im Rahmen ihres sozialökologischen Tages um Arbeit gebeten hat, gehen ihr tatkräftig zur Hand. Ihr Ziel ist ambitioniert: Am 3. Juli möchte sie eröffnen und bis dahin ist noch Einiges zu tun. Nicht nur Innen. »Der Konsum hat mir zugesichert, dass die Fassade noch gesäubert wird. Die Fenster und der Eingangsbereich sehen wirklich nicht schön aus«, so Ludwig. Auch die Wand soll noch geweißt werden, denn darauf wollen sich – wenn es klappt – junge Graffiti-Künstler unter Anleitung von Sprayer Patti Seifried verewigen. Der Leipziger hat bereits ein ähnliches Gebäude im WK 4 verschönert und freut sich auf den Job mit den Kids aus hiesigen Freizeiteinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften.
Ein Wunschmotiv haben Thuy The Ludwig und ihre Tochter Mai, die neben einer weiteren Mitarbeiterin künftig ebenfalls im neuen Modegeschäft stehen wird, auch bereits: »Etwas mit Bezug zu Vietnam und Textilien.« Dass sie mit ihrem Engagement nicht nur dafür sorgt, einen Schandfleck in Grünau verschwinden zu lassen, sondern anderen Akteuren im Stadtteil vor Augen führt, wie einfach es sein kann, etwas Positives zu bewirken, lächelt Ludwig bescheiden weg. Sie wolle, so sagt sie, keine großen Gewinne machen, sondern sich einfach nur wohlfühlen, zufrieden sein. Und wenn es die Nachbarn auch sind, dann wäre es doch umso schöner.
Klaudia Naceur