Nach Rötha zum Silbermann
Radtouren ins Umland - Teil 4
Rötha war einst eines der bekanntesten und beliebtesten Naherholungsziele der Leipziger. Zu danken ist dies den Herren von Friesen, die im Röthaer Schloß residierten. Einer der ihren war Kammerherr am Hof des starken August und lernte dort Silbermann kennen. Den lud er wiederholt auf sein Schloß in der idyllischen Pleißenaue ein. So gelang es den berühmten Orgelbaumeister zu gewinnen, zu günstigen Konditionen in Rötha eine Orgel zu bauen.
Nun hat Rötha aber zwei Kirchen. Die zweite sollte Zentrum eines Wallfahrtsklosters werden. Im 15. Jahrhundert will dort ein Schäfer in einem Birnbaum die Jungfrau Maria gesehen haben. Die Erscheinung macht den Birnbaum zum attraktiven Ziel für viele Pilger. Zu deren Schutz und Seelenheil, aber wohl auch zur Erleichterung ihrer Geldbeutel, wurde der Bau eines großen Nonnenklosters beschlossen. Als die Kirche halbfertig war, machten Luther und die Reformation mit der ganzen Wallfahrerei ein Ende.
Die Kirche blieb halbfertig stehen und wurde später soweit abgeschlossen, dass die gebauten Gebäudeteile genutzt werden konnten. In diesen Kirchentorso wollten die Röthaer nun auch eine Orgel vom berühmten Baumeister. Wieder gelang es Friesen, der sich auch an den Kosten beteiligte, Silbermann zu engagieren. So hat Rötha als einziger Ort im Leipziger Land gleich zwei Silbermann-Orgeln.
Die zogen Prominenz nach Rötha. So war zum Beispiel der berühmte Gewandhaus-Kapellmeister Felix Mendelsohn-Bartholdy sehr oft dort, um Orgel zu spielen. Die Orgeln weckten auch Begehrlichkeiten. So wurde eine Anfang der 50er Jahre demontiert und im Leipziger Rathaus aufgestellt. Allein die Töne, die sie dort von sich gab, waren so wenig erbaulich, dass die Leipziger sie nach zwei Jahren wieder zurückbrachten.
Silbermann hatte die Orgel so perfekt auf die Akkustik der Röthaer Kirchen abgestimmt, dass sie nur dort die volle Schönheit ihres Klanges entfalten konnte. In der Nähe Röthas, in Störmthal, gibt es übrigens noch eine Orgel aus Silbermanns Werkstatt. Sie wurde von Hildebrandt, dem Altgesellen des Meisters gebaut. Berühmt geworden ist sie, weil sie vom Thomaskantor Johann Sebastian Bach aus Leipzig gestimmt und eingeweiht wurde.
Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts war einer der Friesens längere Zeit in Frankreich, in der Normandie und lernte dort die großen Obstplantagen und den berühmten Apfelwein, le cidre, kennen und lieben. Zurück in Rötha begann er sofort, dort ebenfalls den Obstanbau zu fördern. Nach einigen Fehlschlägen entstanden so nach und nach große Obstplantagen, die vor allem zur Blütezeit viele Besucher nach Rötha lockten.
Eine Obstweinschenke und eine Obstweinkelterei, vielen alten Leipzigern noch Begriffe, folgten. Und noch Dank einer anderen Entscheidung hat Rötha lange seine Idylle in der Pleißenaue gewahrt. Ursprünglich sollte die Bahn nach Süden durch Rötha gebaut werden. Dieses stinkende und lärmende Dampfroß wollten aber weder die Schloßherren noch die Mehrheit der Röthaer.
Der Röthaer Bahnhof kam daher ins nahe Böhlen, damals ein winziges, unbedeutendes Dorf. Auch wenn später doch eine heute längst stillgelegte Nebenstrecke der Bahn nach Rötha kam, von der die Umwelt belastenden Schwer- und Chemieindustrie, die zusammen mit dem Kohlebergbau große Teile der Landschaft des Südraumes unwiderbringlich zerstört hat, ist Rötha lange verschont geblieben.
So war es noch bis in die 60er Jahre hinein ein attraktiver Naherholungsort. Dann aber ereilte auch Rötha fast sein Schicksal. Als erstes wurde das Schloß der Friesens, in dem während der Völkerschlacht u.a. der russische Zar Quartier genommen hatte, gesprengt, obwohl die SED-Führung in Berlin die Erhaltung beschlossen hatte. Wildgewordene Provinzfunktionäre wollten keine feudale Trutzburg in Rötha.
Wer alle Kulturbarbarei in den Ulbrichtjahren Ostberlin antastet, greift viel zu kurz. Die Borniertheit vieler Provinzfunktionäre hat weit größeren Schaden angerichtet. Dann kam die Kohle, Teile von Rötha sollten abgebaggert werden. Dem wäre auch das Anwesen des heutigen Regierungspräsidenten Steinbach zum Opfer gefallen. Nicht ganz uneigenützig hat er daher in der DDR und in der Wendezeit den Widerstand gegen den irrsinnigen Raubbau durch die Braunkohleförderung gekämpft.
Das war erfolgreich. Steinbachs Haus konnte wie die ganze Siedlung, zu der es gehört, gerettet werden. Inzwischen ist er Mitglied des Aufsichtsrates der Mibrag und steht den Sorgen der Heuersdorfer völlig verständnislos gegenüber, die doch nur wie einst Steinbach den Nachweis fordern, dass es wirklich keine andere Alternative gibt, als ihre Häuser abzureißen.
Wir starten unsere Tour am 11.9.1999 um 14.00 Uhr am KOMM-Haus und werden zunächst über Markkleeberg nach Störmthal radeln. Dort werden wir uns die Kirche und die Hildebrandt-Orgel ansehen. Dann geht es über Dreiskau-Muckern und Espenhain nach Rötha. In Rötha wird uns die Organistin, Frau Groß, zunächst durch beide Kirchen führen und uns einiges zur Geschichte und zur Architektur erzählen. Der Tag endet mit einem Orgelkonzert anläßlich der Silbermanntage.
Die Rückfahrt kann mit der S-Bahn ab Böhlen angetreten werden, da es nach dem Konzert im September bereits dunkel ist. Das Konzert beginnt 19.30 Uhr, die Führung, je nachdem wann wir mit dem Rad ankommen, zwischen 17.30 und 18 Uhr. Wer nicht mit dem Rad fahren möchte, kann Rötha auch per Bus oder S-Bahn (reichlich 2 km Fußweg vom Bahnhof Böhlen) erreichen. Rötha und seine Orgeln sind auf jeden Fall einen Besuch wert.
Dr. Leonhard Kasek Weiter>>>