Rechtsextreme Jugend - eine Erschütterung der Gesellschaft?
Zu diesem Thema fand vom 08.-10.3.2000 ein Fachkongress in Leipzig statt.
Vor allem die Beschreibung der aktuellen Situation und die Ursachen für Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus innenhalb der Jugendszene standen im Mittelpunkt. Die geladenen WissenschaftlerInnen und ExpertInnen gingen auch auf Möglichkeiten der Intervention und Prävention ein, warnten aber vor schnellen und generalisierenden Lösungen.
In Arbeitsgruppen trafen sich die Teilnehmenden, um zu spezifischen Aspekten der Thematik noch einmal miteinander ins Gespräch zu kommen. Klaus Farin vom Archiv für Jugendkultur in Berlin ging in seinem Eingangsreferat auf auf die Vorurteile ein, die mit dem Thema Rechtsextremismus verbunden werden. Es erscheint als Jugendproblem, es konzentriert sich auf die Neuen Bundesländer, es nimmt zu. Genau diese Vorurteile fanden Bestätigung im Beitrag der Staatssekretärin des Innenministers, Frau Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast.
In seinen weiteren Ausführungen widerlegte er diese Vorstellung: 12% aller Deutschen denken
rechtsextrem. Untersuchungen haben gezeigt, dass Rechtsextremismus mit zunehmenden Alter
ebenfalls zunimmt. Als Kernproblem des Rechtsextremismus bezeichnete Farin, wie auch andere
Redner, den RASSISMUS ,der in diffusen Ängsten vor Fremden begründet scheint. Die Experten
waren sich einig, dass Jugendliche darauf reagieren, indem sie meinen, dass sie, was ihre
Eltern und andere Erwachsene »nur verbal äußern«
, umsetzten.
Rechtsextreme Jugendliche sind der Meinung: Erwachsene quatschen nur »wir handeln!«
Damit
stellt sich eine jugendliche Subkultur zum 1.Mal nicht als Gegenentwurf zur Elterngeneration
dar. Viele Erwachsene billigen auch was Jugendliche tun: sie halten das Viertel sauber, sind
ordentlich…
Bei rechtsextremen Jugendlichen spielen vor allem Musik und Konzerte eine
wichtige, identitätsstiftende Rolle. Der Politisierungs- und Ideologisierungsgrad wird, auch da
herrscht Konsens, unter den WissenschaftlerInnen als eher niedrig bezeichnet. Nur wenige fühlen
sich zur nationalen Vergangenheit hingezogen.
Die Ursachen für Rechtsextremismus bei Jugendlichen sind vielfältig. Immer führen -so die
Experten- mehrere Ursachen zu einer Anfälligkeit gegenüber Rechtsextremismus. Rechtsextreme
Jugendliche sind geprägt durch Einstellungen aus ihrem politischen und menschlichen Milieu,
also durch das, was als normal empfunden wurde in ihrem Elternhaus, ihren sozialen Umfeld.
(Christel Hopf bezeichnet das als »kulturellen Code«
). Dazu gehört z.B. der Rassismus bei den
Erwachsenen. Untersuchungen belegen einen weiteren Zusammenhang zwischen Bildungsstand und
Fremdenfeindlichkeit. Menschen von geringerem Bildungsgrad sind anfälliger gegenüber rechten
Einflüssen. Und es gibt eine enge Verbindung von Geschlechtszugehörigkeit und
Gewaltbereitschaft. Hier wurde vor allem die große Wirkung der Propagierung eines aggressiv
patriarchalischen Männlichkeitsideals auf männliche Jugendliche genannt.
Dieses präsentiert Gewalt als geeignetes Mittel zur Durchsetzung eigener (Macht)Interessen.
Viele der ReferentInnen gingen auch auf negative soziale und ungünstige Beziehungserfahrungen
in der Familie als eine Ursache für Rechtsextremisus ein.
Diese Erfahrungen beruhen auf
Liebesentzug, Demütigung, auch Gewalt und wenig emotionaler Sicherheit. Die daraus
resultierenden Aggressionen werden nun gegen Menschen gewandt, die zu den »Schwachen«
gehören.
Dahinter verbirgt sich auch (so Staatsanwalt Dr. Breymann) eine Sehnsucht nach dem (klein)
bürgerlichen Familienglück (Arbeit - Wohnung - Familie).
Entgegen vieler Meinungen ist bisher kein direkter Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit
und Rechtsextremismus nachgewiesen worden. Dennoch spielt das Gefühl, kaum Zukunftschancen zu
haben, eine Rolle. Hinzu kommt das Gefühl bei manchen Ostdeutschen nach einem durchlebten
Wertewandel auch in der BRD keine wirkliche Demokratie zu erleben. An dieser Stelle gab es die
provokante These eines westdeutschen Kongressbesuchers, dass die »Bonner Republik«
durch ihre
Politik der Zerschlagung aller Strukturen der DDR-Jugendkultur bewusst die Möglichkeit von
Rechtsextremismus quasi als »kleineres Übel«
in Kauf genommen habe…
Qualifizierte AnsprechpartnerInnen erforderlich Zur Präventation: Zu Recht kritisierte Herr
Farin schnelle und kurzfristige Lösungen ausschließlich im Bereich von »Jugendarbeit«
. Er
forderte u.a. qualifizierte AnsprechpartnerInnen für die Jugendlichen (die sich natürlich auch
mit den Symbolen auskennen müssen), was natürlich über ABM nicht zu realisieren sei.
Rechtsextreme Jugendliche dürfen nicht ausgegrenzt werden (das entspricht ihren bisherigen Erfahrungen), sondern es müssen Chancen eröffnet werden, wieder dazuzugehören (Hopf, Breymann, Farin): AKZEPTIEREN und GRENZEN setzen wurde als ein mögliches Handlungskonzept genannt. Es müssen alternative Cliquenangebote unterbreitet werden, wo ebenfalls positive Erfahrungen mit einer Wertegemeinschaft gemacht werden können. Statt Bestrafung und Gefängnis sollte - so Staatsanwalt Breymann - soziale Prävention stattfinden, indem z.B. Erziehung begriffen wird, als Befähigung der jungen Menschen zur Integration und zur Gestaltung ihres eigenen Lebens.
Dies setzt natürlich LehrerInnen und ErzieherInnen voraus, die »demokratiefähig«
sind. Auf
diesem Feld konstatierte Prof. Brunlik einen enormen Weiterbildungsbedarf auch bei
westdeutschen PädagogInnen.
Den immer wieder vorgebrachten Aufruf zur »Zivilcourage«
verstanden die WissenschaftlerInnen weniger als Aufforderung »GEGEN RECHTS«
zu sein und dies
nach außen zu dokumentieren, als dass Rechtsextremismus eigentlich ein Problem der Erwachsenen
ist.
Wenn - so fragte Christel Hopf- schauen wir einfach zu, wenn durch globalisierte
Märkte und Fusionen oder im öffentlichen Bereich Arbeitsplätze vernichtet werden, warum
reagieren wir Erwachsene nicht und zeigen Zivilcourage?
Farin fordert mehr Öffentlichkeit zu schaffen, für das scheinbar Alltägliche bei Vorfällen
von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus bei Erwachsenen. Hier kommt auch den Medien eine
besondere Bedeutung zu, die mit ihrer ausschließlich auf Sensationen und auf Spektakuläres
ausgerichteten Berichterstattung rechtsextreme Jugendliche auch noch öffentlich pushen
.
Rühmliche Ausnahme ist der Berliner Tagesspiegel, der einen Reporter beschäftigt, der sich fast
ausschließlich dem Thema Rassismus widmet.
Dass den Schulen beim Thema rechtsextreme Jugendliche eine eine Schlüsselfunktion zukommt,
darüber waren sich alle einig. Deshalb auch die eindringliche Bitte des Beigeordneten für
Jugend, Schule und Sport, Burkhard Jung, als Gastgeber der Stadt Leipzig, einen »Preis für
Zivilcourage«
auszuloben, der an SchülerInnen, Hausmeister, Eltern, Nachbarn usw. vergeben
werden kann.
Außerdem stellte Herr Jung eine »Leipziger Erklärung«
vor. In 10 Punkten sind
grundlegende Positionen zum Thema »Rechtsextreme Jugend - eine Erschütterung der Gesellschaft«
festgehalten. Das Dezernat IV ist sehr an Meinungen zu dieser Erklärung interessiert.
Diese, sowie der Aufruf zur Preis-Auslobung »Zivilcourage«
sind im Dezernat IV / Frau Dr. Nina
Dulabaum, Tel. 123-4313/4 erhältlich.