Nat(o)ur 2000 - mit Fahrrad und Bus unterwegs
Einheimischen Orchideen auf der Spur
Die dritte Tour führt zur Orchideenwiese und den Eschefelder Teichen. Die Fahrt mit dem
Bus geht nach Jena ins Leuthratal und in die Kernberge. Durch den verfrühten
Sommeranfang in diesem Jahr besteht die Gefahr, dass so manche Orchidee nicht mehr
ihren »Superblütenstand«
zeigt. Aber das wird den Erlebniswert der Touren nicht
schmälern.
Mit den Orchideen hat sich die Natur einen geradezu verschwenderischen Luxus geleistet: die Vielfalt ihrer Blüten ist faszinierend. Das gilt nicht nur für die tropischen Arten, auch die Blüten der einheimischen Arten sind grazile Wunderwerke. Allerdings sind sie meist recht klein.
Orchideen sind anspruchsvolle Pflanzen. Nur selten finden sie Plätze, auf denen sie wachsen können. Um die zu erreichen, produzieren sie unglaublich viele Samenkörnchen. Die sind winzig klein, damit der Wind sie weithin tragen kann. Der Preis dafür ist hoch: im Gegensatz zu fast allen anderen Samen haben sie keine Nährstoffspeicher. Ihre Kraft reicht nur für einen kleinen Wurzelfaden. Der wartet dann im Boden auf einen passenden Pilz, der ihn mit Nährstoffen versorgt und dafür von der erwachsenen Pflanze Zucker erhält.
Findet der rettende Pilz den wartenden Keimling nicht, stirbt dieser ab. Auch die
erwachsenen Wildorchideen sind noch von dieser Symbiose abhängig. Es ist daher sinnlos,
Orchideen auszugraben und in den Garten zu pflanzen. Nur selten finden sie dort »ihren«
Pilz und gehen daher meist zugrunde. Inzwischen ist es aber Spezialgärtnereien gelungen,
eine Reihe von einheimischen Arten soweit zu züchten, dass sie auf Spezialbeeten bei
einigem Pflegeaufwand auch im Garten wachsen und blühen.
Allerdings sind sie recht teuer und ihre Pflege verlangt einige Kenntnisse. Wir begnügen uns daher mit ihren wilden Vettern. Auch in Leipzig und Umgebung gibt es sie. Im Auwald blüht zum Beispiel das Zweiblatt, auch mitten in der Stadt. Sie gehört Gott sei dank zu den unscheinbarsten heimischen Arten, sonst wäre sie wahrscheinlich längst ahnungslosen Spaziergängern und rücksichtslosen Kleingärtnern zum Opfer gefallen.
Im Süden von Leipzig, in der Whyraaue bei Borna, gibt es drei nasse Wiesen, auf denen tausende von rötlichen Knabenkräutern blühen. Ich kenne weit und breit kein zweites Biotop mit so vielen Orchideen. Diese Wiese ist ein Ziel unserer nächsten Radtour am Pfingstsonnabend. {Sie wurde übrigens nur durch glückliche Umstände gerettet: Durch den hohen Grundwasserstand brachte sie nicht viel Ertrag. Da half auch kräftiges Düngen nicht. Vor allem die starke Stickstoffzufuhr begünstigte aber andere Pflanzen, allen voran die Brennnesseln.
Die Orchideen, landwirtschaftlich wertlos: die Tiere fressen sie nicht, wurden immer seltener. Schließlich beschloß die Agrargenossenschaft, auf den nutzlosen Wiesen Pappeln zu pflanzen. Das wäre das Ende gewesen. Mitten beim Pflanzen kam der Kollabs der DDR und mit ihm neue Überlegungen zum wirtschaftlichen Sinn des Pappelwaldes. Die Erkenntnis, dass hier auch mit Pappeln nichts zu verdienen war, erhöhte die Bereitschaft, den Naturschützern zuzuhören, deutlich. Inzwischen hat der Naturschutzbund die Wiesen gekauft.
Die Bauern, die die Nachbarwiesen und Felder bewirtschaften, halten sich mit Stickstoffdünger etwas zurück. Zum Schutz vor dennoch mit ablaufendem Regen eingespülten Stickstoff hat der Naturschutzbund Hecken gepflanzt. Den Brennnesseln und anderen schnell wachsenden Pflanzen, die den Orchideen die Luft nehmen, geht der Naturschutzbund mit der Sense ans Leben. Die Ergebnisse sind beeindruckend: ein wahres Meer blühender Orchideen. Gleich in der Nähe ist ein weiteres Naturschutzgebiet, die Eschefelder Teiche. Dort brüten viele Wasservögel, die im Juni Junge führen. Auch die werden wir uns mit ansehen.
Eine Woche später geht es per Bus nach Jena, in das Leuthrathal und in die Kernberge. Auch dort wollen wir uns vor allem einheimische Orchideen ansehen. So dicht wie auf der Wiese bei Borna wachsen die Orchideen dort zwar nicht, aber dafür gibt es auf den Kalkbergen um Jena sehr viel mehr verschiedene Arten, darunter auch den Frauenschuh mit den größten Blüten unter den heimischen Arten.
Die meisten heimischen Orchideen sind übrigens Kulturfolger. Das zeigt die Geschichte des Leuthratales gut. Bis zum Mittelalter wuchs dort Wald. Der mußte dem Weinbau weichen. Als sich das Klima im Zuge der sogenannten kleinen Eiszeit immer mehr abkühlte, verlor der Weinbau immer mehr seine Bedeutung. Bekannt ist Luthers Einschätzung des heimischen Weines als Essig am Stengel. Inzwischen haben wir dank der Anreicherung der Atmosphäre mit Treibhausgasen durch unsere Art der Energieerzeugung wieder die Temperaturen erreicht, die es hier vor 1000 Jahren schon einmal gab. Aber das ist ein anderes Thema.
Abkühlungsbedingt wurde der Wein durch Weide ersetzt. Die Tiere hielten den Orchideen die konkurrierenden Pflanzen vom Leibe, wurden aber selbst von diesen wegen ihres unangenehm bitteren Geschmackes verschmäht. Im Zuge der Weidewirtschaft konnten sie sich daher stark ausbreiten. Mit dem Ende der DDR ist das in die Krise geraten. Die extensive Weide auf den steilen Hängen lohnt nicht mehr. Sich selbst überlassen, kommen überall Büsche auf, denen der Wald folgt. Für die meisten Orchideenarten wäre das das Ende. Die Orchideen müssen erst ausreifen und ihre Samen auf die Reise schicken.
Gemäht werden kann daher erst im August, zu einem Zeitpunkt, an dem das Gras verdorrt und abgestorben ist und als Futter kaum Wert hat. Auch das ist wirtschaftlich uninteressant. Außerdem gibt es einen erheblichen Unterschied zwischen Mahd und Weide: Tiere sind Feinschmecker. Sie lassen eine Reihe von Pflanzen stehen und begünstigen sie dadurch. Der Sense oder Mähmaschine fällt alles gleichmäßig zum Opfer. Auf Mahdwiesen bilden sich daher ganz andere Pflanzengesellschaften als auf Weiden.
Das Problem, das die Naturschützer jetzt lösen müssen, ist, wie läßt sich eine nachhaltige Beweidung der (ungedüngten!) Orchideenwiesen sichern, eine Wirtschaftsweise, die heute nicht mehr konkurrenzfähig ist.
Übrigens kann jeder einen kleinen Beitrag zum Erhalt solcher alten Weidepflanzengesellschaften leisten, in dem er Fleisch, Wolle und anderes von Tieren aus ökologischer Haltung kauft. Da das arbeitsaufwendiger ist, ist es teurer. Dieser Mehrpreis kommt aber direkt Arbeitsplätzen in der Region zugute und hilft zugleich bedrohte Tier- und Pflanzenarten zu retten. Bedroht werden einige der Orchideenwiesen bei Jena auch durch den Autobahnausbau und zwar weniger durch die Autobahntrasse selbst, sondern durch den Flächenverbrauch für Bautechnik und Antransport von Gerät und Material an beiden Seiten. Klar ist: ohne unser aller Engagement ist die Zukunft der heimischen Orchideen nicht gesichert.
Dr. Leonhard Kasek Weiter>>>