Grün-As

Vorgestellt: Anette Weber

künstlerische Leiterin des THEATRium

Anette Weber, die (seit 1.3.2000) neue künstlerische Leiterin des THEATRiums sagt von sich: »Jetzt bin ich richtig angekommen!« - und meint natürlich Leipzig, die Stadt, in der sie vor einigen Monaten noch völlig neu und fremd war.

Petra Siegel
Was hat die 34-jährige Münchnerin bewogen, im vergangenen Frühjahr nach Leipzig zu ziehen?
Anette Weber
»Ich hatte schon immer (auch vor dem Mauerfall) Interesse am Osten und an der ostdeutschen Theaterszene. Außerdem ist es für mich immer wichtig und spannend, mit Leuten zu arbeiten, die etwas wollen. In den ›gesättigten Atmosphären‹ verschiedener wohl situierter Bundesländer und Staatstheater ist das nicht immer so. Deshalb habe ich mich sofort beworben, als ich die Ausschreibung las. Und als ich zum Vorstellungsgespräch kam, hatte ich das Gefühl, dass hier Leute sind, die mit ihren Mitteln, Ideen und ihrer Energie etwas bewegen wollen. An einem solchen Ort, in einer Trabantenstadt sozusagen mit ihrem schaurig schönen Charme und der Entwicklung zu einem sozialen Brennpunkt, finde ich es besonders wichtig, mit unseren Mitteln des Theaters zu agieren.«
Petra Siegel
Anette, wie bist du überhaupt zum Theater gekommen und was reizt dich bis heute an diesem Medium?
Anette Weber
(Sie zieht die Stirn in Falten und gräbt in Gedanken.) »Das weiß ich eigentlich gar nicht mehr so genau. Ich habe als Schülerin Theater gespielt. Irgendwann wollte ich Schauspielerin werden, mein Onkel (Theaterkritiker) riet mir, so oft wie möglich ins Theater zu gehen. Also habe ich mir in München alle möglichen Inszenierungen verschiedener Theater hoch und runter angesehen: Dann habe ich Schauspielunterricht, Sprecherziehung und was so noch alles dazugehört genommen und irgendwann traf ich auf das Freie Kinder- und Jugendtheater BAUSTELLE. Ich stieg bei ihnen ein, spielte fast 6 Jahre mit, finanzierte mir dadurch auch weiterhin die Ausbildung. Wir waren ein mobiles Theater, spielten in Bürgerhäusern, Schulen und Jugendzentrum. Irgendwann hatte ich meine erste Regie. Dabei stellte ich fest, dass ich Leute motivieren kann, eine Menge Ideen und Bilder im Kopf hatte und dies mir sogar mehr Spaß machte, als auf der Bühne zu stehen. Kurz und gut, ich hatte ›Blut geleckt‹. Aus der BAUSTELLE entstand die PROBEBÜHNE, bei der ich die künstlerische Leitung übernahm und wir den Spielplan auch auf Erwachsenentheater erweiterten. 1994 war dann so ein Punkt erreicht, wo ich spürte, hier gibt es für dich nichts mehr zu lernen. Fazit einer solchen Erkenntnis ist: Ich suche eine neue Herausforderung. So kam ich relativ schnell und reibungslos an das SCHNAWWL am Nationaltheater Mannheim. Dort arbeitete ich als Regieassistentin und Theaterpädagogin mit Spielverpflichtung.«
Petra Siegel
Kann man sich nach einer leitenden Arbeit noch einmal so als Assistentin einfügen?
Anette Weber
»Ja und nein. Ich wollte ja noch etwas lernen und außerdem sind die Strukturen eines Stadttheaters anders. Nach dem Intendantenwechsel 1996 ging es aber dort für mich nicht weiter. Als freie Regisseurin tourte ich quer durchs Land und ging dann nach Saarbrücken. Dort lernte ich den Leiter der dortigen Schauspielschule kennen. Wir hatten sofort einen Draht, arbeiteten zusammen und plötzlich hatte ich einen festen Assistentenvertrag in Saarbrücken am Theater. Als Assistentin betreute ich wieder den Abendspielplan und konnte mich dort als Regisseurin durch Inszenierungen in der Reihe ›Arnual Spezial‹ etablieren. Parallel zu meiner Assistententätigkeit habe ich dann auch an anderen Theatern inszeniert, merkte, mit dem Assistieren ist es vorbei, und kündigte. Kurz darauf las ich die Ausschreibung vom THEATRium in Leipzig. Das klang so spannend, war im Osten und ich konnte endlich wieder einen eigenen Spielplan entwerfen, so dass ich gar nicht lange überlegt habe.«
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Petra Siegel
Im Moment inszenierst du gerade »Trainspotting«, eine Koproduktion zwischen THEATRium und bagage - Das Theater der Jungen Welt.
Anette Weber
»Ja, es gab zwischen beiden Theatern schon länger diese Zusammenarbeit. Als mich Tilo Esche, mein Vorgänger im THEATRium und heutiger Intendant der ›bagage‹, fragte, ob ich mir diese Zusammenarbeit auch weiterhin vorstellen könnte, sagte ich begeistert zu. Ich glaube, es ist für jedes Ensemble gut, auf andere Kollegen zu treffen, neue Impulse aufzunehmen. Für die Kollegen des THEATRiums ist es toll, mal auf einer größeren Bühne, wie sie das ›Theater im Zelt‹ in Plagwitz bietet, zu spielen. Und außerdem schlummerte schon länger, ganz verborgen, in mir der Wunsch, irgendwann ›Trainspotting‹ zu inszenieren.«
Petra Siegel
Hat das Stück »Trainspotting« für dich eine besondere Bedeutung, oder siehst du es vor allem auch im Zusammenhang mit dieser Stadt?
Anette Weber
»Es hat für jede Stadt eine besondere Bedeutung. Es geht um Menschen, deren Ziele, um ihren Sinn … was jeder von ihnen will… um Drogen, aber hauptsächlich ums Leben. Ein Beispiel: Die Figuren stellen keine bestimmten Anforderungen, sie kämpfen für nichts, sie wünschen sich nur den Kick, Spaß wollen sie haben, sich bloß nicht langweilen…«
Petra Siegel
Also geht es dir dabei um mehr, als nur zu zeigen, was sich hinter dem Stoff, der die Träume bringt, verbirgt?
Anette Weber

»Ja natürlich. So unterschiedlich wir Menschen sind, so unterschiedlich ist auch für jeden Einzelnen der Umgang mit Drogen. Man kann jedes Opiat nehmen, kann es genießen oder vor seinen eigenen Ängsten flüchten. Genauso ergeht es den Hauptfiguren von ›Trainspotting‹. Ich will sie sehr unterschiedlich zeichnen, Mark, der am Schluss den Absprung schafft, sieht das Leben mit Drogen als Herausforderung für sich. Tommy dagegen nimmt die Drogen aus einer sozialen Haltlosigkeit und ›stürzt‹ dabei ab. Alison fühlt sich ohnmächtig, wehrlos gegen die Anforderungen der Zeit und schottet sich mit Drogen ab. Leben ist eine Aneinanderreihung von guten und schlechten Situationen. Ich kann sie mit Drogen verstärken oder abbauen. Wenn Drogen ritualisiert sind, ich meine z. B. im Mittelalter zur Sommersonnenwende oder eben andere heidnische Bräuche, wo diese Stimulanzen vor einem traditionellen oder religiösen Hintergrund konsumiert wurden, dann ist es Genuss und ein kontrollierter, auf einen bestimmten Zeitpunkt begrenzter Umgang. Es bleibt ein erhebendes Gefühl. Aber je öfter die Droge als Hilfsmittel benutzt wird, desto alltäglicher wird sie und der erwünschte Kick ist auch nicht mehr das, was er mal war. Aber eigentlich leben die Figuren, wie auch wir, in einer total erlebnisarmen Welt.

Durch unsere hoch entwickelten Technologien sind wir scheinbar so sicher, wir leben nicht mehr im Wald in ständiger Angst ums nackte Überleben und dennoch fühlen wir uns nicht sicher, denn es gibt zu wenig Orientierungsmöglichkeiten, aber gleichzeitig immens viele Möglichkeiten, sein Leben zu gestalten. Und hier setzt ein psychologischer Druck ein, der bei vielen Menschen zur so genannten Aussichtslosigkeit führt, weil sie aus der Fülle der Möglichkeiten nicht auswählen können oder, anders gesagt, die Kompetenzen, sich im Zusammenhang zur Gesellschaft zu etablieren und zu behaupten, nicht mit an die Hand bekommen. Von wem auch? So wird es Leute geben, die Drogen nehmen, um ihre soziale Rolle ›besser‹ zu spielen. Einige nehmen z. B. Designerdrogen zur Steigerung der Kommunikation und Power, andere nehmen z. B. Heroin, um sich ihre Ruhe zu sichern und aus der realen Welt abzutauchen. Aber dafür zahlt man auch seinen Preis, egal welche Seite man wählt.
Und das ist genau das, was mir an ›Trainspotting‹ gut gefällt, die Drogen werden nicht verteufelt, es wird offen erzählt, dass man seinen Kick kriegt, aber es wird auch erzählt, was dabei auf der Strecke bleibt. Und genau das möchte ich zeigen, das Leben bleibt auch mit Drogen eine Aneinanderreihung von guten und schlechten Momenten. Ihr seid alle eingeladen, am 8./9./10. März im ›Theater im Zelt‹ auf der Karl-Heine-Straße 90 vorbeizuschauen.«

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Petra Siegel
Für deine zukünftigen Pläne im THEATRium und deine bevorstehende »Trainspotting«-Premiere wünsche ich dir toi, toi, toi und bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.
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