Gewürze aus Markranstädt
Kurz vor Weihnachten bei den letzten Einkäufen habe ich mich mal wieder über das Angebot der großen Supermärkte geärgert. Gewürze aus Markranstädt waren nicht zu haben. Der Betrieb hatte zu DDR-Zeiten 130 Beschäftigte, meist Frauen. Die Treuhand hatte vor, den Betrieb zu schließen, der Bedarf wird im wesentlichen durch zwei große Gesellschaften aus dem Westen des Landes gedeckt, die fast alle kleinen aufgekauft haben und unter derem Namen weiter verkaufen. In dieser Situation beschlossen zwei Frauen, sich selbständig zu machen. Inzwischen arbeiten wieder 11 bei der Gewürze Markranstädt GmbH.
Es ist der einzige sächsische Betrieb der Branche, der seine Selbstständigkeit gegenüber der
fast Monopolstellung der beiden Marktbeherrscher behaupten konnten. Das war allerdings sehr
schwer. In Markranstädt werden Gewürze gemahlen, gemischt und verpackt. Es fehlte an Geld und
einem Vertriebsnetz. Für die Banken ist so eine »überflüssige«
Kleckerbude kein
attraktiver Kunde. Die großen Ketten verlangen in der Regel horrende Listungsgebühren, damit
sie die Produkte in ihr Sortiment aufnehmen. Das geschieht dann meist in allen Filialen der
Ketten in ganz Deutschland. Dazu kommen Forderungen nach einer Beteiligung an den Kosten für
die Werbung. Zu viel Geld für eine kleine Firma ohne mächtige Geldgeber im Rücken. Diese
Situation ist typisch für viele kleine Lebensmittelproduzenten in Ostdeutschland.
Nur einige größere Unternehmen wie das Lebensmittelwerk in Wurzen mit über 100 Beschäftigten
haben es geschafft, in die wichtigsten Ketten hineinzukommen. Die Schwierigkeiten, die eigenen
Produkte zu verkaufen, sind auch dafür verantwortlich, dass es Existenzgründer in diesem
Bereich extrem schwer haben, selbst dann wenn sie mit Lebensmitteln aufwarten, die den
regionalen Geschmack voll treffen. Es entsteht dann eine paradoxe Situation: die alten Firmen
und ihre Produkte gibt es noch. Es gibt auch viele Leipziger, die sie gern kaufen würden, aber
sie in den Regalen »ihrer«
Supermärkte nicht finden. Dazu kommt, dass es gar nicht
sinnvoll ist, Massenprodukte in ganz Deutschland zu vertreiben. Die Spezialität der
Markranstädter Frauen sind ja gerade Mischungen, die Traditionen und Geschmack hier im Raum
Leipzig entsprechen.
Das Bratkartoffelgewürz hat mich an meine Kindheit in Priesteblich erinnert. Ich hatte schon mehrfach versucht, die Mischung meiner Oma nachzuempfinden, aber geschafft hatte ich es nie so richtig. Bei den Markranstädter Gewürzen habe ich das nun wieder gefunden. In Baden- Württemberg, aber auch in Mecklenburg gibt es andere Küchentraditionen und andere Geschmäcker. Weshalb sollten die Markranstädter dort mit sehr hohem Aufwand und durchaus fraglichen Erfolgsaussichten versuchen, sächsische Geschmacksvorlieben einzuführen? So gibt es Gewürze aus Markranstädt bis heute nur in den Kaufhallen des Konsums und bei einigen kleineren Händlern. Wer in Markranstädt zu tun hat, kann auch im Firmenladen in der Nordstraße einkaufen. Ein erheblicher Teil wird bei Großabnehmern in der Region abgesetzt, Gaststätten, Bäckereien u.a. Einige Exklusivkunden wie Familie Biedenkopf ordern auch direkt im Betrieb.
Der enge Regionalbezug hat noch einen gewichtigen Vorteil. Die Chefinnen und ihre Mitarbeiterinnen wohnen ja unter uns. Sie haben hier Freunde und Bekannte, denen sie jeden Tag in die Augen sehen müssen. Das ist ein sehr wirksames Mittel gegen allzu viel Experimentierlust mit chemischen Zusätzen, die bei empfindlichen Menschen zum Beispiel Allergien auslösen können. Die kleinen Lebensmittelhersteller haben auch keine Reserven und keine Beziehungen, die ihnen helfen könnten, einen Lebensmittelskandal zu überstehen. Sie sind bei Strafe sofortigen Untergangs zu Qualitätsarbeit gezwungen.
Und es geht auch um Arbeitsplätze: wer Produkte aus der Region kauft, hilft hier Arbeitsplätze zu sichern. Kommen diese Einkäufe dann noch von kleinen Händlern, mit denen man auch über seine Sorgen und Ängste zur Sicherheit der Lebensmittel reden kann und die neue Bedürfnisse der Kunden sofort an die Hersteller weiterleiten, kann dieser Arbeitsmarkteffekt sogar erheblich sein. Gelänge es dann noch, unsere Bauern wieder dafür zu gewinnen, Obst und Gemüse für den Verkauf in unserer Region zu produzieren, dann wäre es sogar möglich, dass diese chemisch veredelten Wasserbomben, die es heute in den Supermärkten gibt, wieder schmecken. Tomaten und Erdbeeren zum Beispiel, die auf kurzem Weg frisch auf den Tisch kommen, sind Delikatessen, die sich gravierend von dem faden Zeug aus der Massenproduktion unterscheiden, das oft schon tagelang unterwegs war, bevor es auf unseren Tisch kommt.
Vielleicht werden dann auch regionale Traditionen, Produkte und Rezepte wiederbelebt, so dass man die Region Leipzig schmecken kann. In vielen Regionen Frankreichs ist das übrigens der Normalfall. Die Provence schmeckt anders als die Bretagne oder die Region um Leipzigs Partnerstadt Lyon. Einheitsgeschmack aus der Massenproduktion ist unserem Nachbarn so verpönt, dass einige McDonalds-Filialen wieder schließen mussten. Ich vermute, dass in diesem Festhalten am Geschmack der Regionen und der Zurückhaltung gegen chemisch frisierter Nahrung auch eine wichtige Ursache dafür liegt, dass die Französinnen die weltweit höchste mittlere Lebenserwartung haben.
Allerdings ist das nicht zu den Kosten des Billiganbieters Aldi zu haben, der seinen Preisvorteil unter anderem damit erzielt, dass brutal jede Möglichkeit zum Personalabbau genutzt wird und dann noch vorzugsweise unqualifizierte Gelegenheitskräfte zu niedrigsten Löhnen beschäftigt werden. Versuchen Sie mal im Aldi eine Verkaufskraft zu finden, die ihnen qualifiziert Auskunft zur gesundheitlichen Unbedenklichkeit der ausliegenden Lebensmittel geben kann.
Am Ende habe ich die gesuchten Gewürze aus Markranstädt im Konsum doch noch gefunden. Im Jahr 2001 habe ich mir vorgenommen, möglichst oft dort zu kaufen, wo die Produkte der kleinen Betriebe aus unserer Region noch verkauft werden.
Leo Kasek Weiter>>>