Nur der WK 1 entstand 1:1
Erbauerstammtisch traf sich zum 2. Mal
Nach dem großen Erfolg vom November luden die VHS Leipzig und der KOMM e.V. zur Fortsetzung des Erbauerstammtisches am 9. Januar ein. Im gut besuchten Kontaktladen erinnerten Klaus Ober, Bernd Puckelwaldt und Siegfried Schlegel an die Entstehungszeit Grünaus und schlugen einen Bogen zur Gegenwart. Die begeisterten Zuhörer/innen erlebten einen anregenden, informativen Abend und konnten sich an verschiedener Stelle eines Schmunzelns nicht erwehren.
Sie berichteten von Kanonenöfen im Bauwagen, von der Baustellenversorgung »bei Mutter
Jeschke«
, von Kupferkabeln, die im Winter beim Bau der Schönauer Straße »beheizt«
werden
mussten und von den Bombenfunden, die zu einer entsprechenden Kartierung für Grünau führten.
Die Anwesenden erfuhren, dass man vom WK 1 durch einen »Magistralsammelkanal«
unter der S-Bahn
hindurch bis in den WK 2 gelangen kann.
Doch die Erbauer redeten auch darüber, wie Produktion und Produktivität zunehmend an
Bedeutung gegenüber der Qualität gewannen. So wurde nur der WK 1 so gebaut wie er tatsächlich
geplant worden war. Hier fand am 1.6.1976 die Grundsteinlegung für das 1. Hochhaus statt, woran
eine Stele in der Gärtnerstraße/Weg an der S-Bahn erinnert. Bereits im WK 2 kam ein PH 16, im
WK 3 ein PH 16 und das Mittelganghaus mit 300 Wohnungen hinzu. Im Laufe der Zeit wurde immer
stärker »nachverdichtet«
, um das Wohnungsproblem zu lösen. An den Folgen leiden noch heute die
Eigentümer.
Die Genossenschaften mussten, trotz fehlender Nachfrage, Häuser mit 1-Raum-Wohnungen übernehmen. Bedarf gab es jedoch vor allem bei jungen Familien nach 2- und 3-Raum-Wohnungen. So müssen jetzt die Genossenschaften entsprechend dem Altschuldenhilfegesetz ca. 75 qm Wohnfläche für Häuser zahlen, die sie gar nicht wollten. Aber 1-Raum-Wohnungen ließen sich eben in größerer Zahl abrechnen.
Infolge der Materialknappheit wurden Straßen und Wege nur noch als sandgeschlämmte Schotterdecke gebaut. Wegen fehlenden Stahls für Aufzüge wurde vor allem 6-geschossig gebaut. Zum WK 8 hin entstanden immer weniger Kneipen, Cafes und Versorgungseinrichtungen. Zu Baubeginn dagegen versuchten die Erbauer Grünaus noch alte Bäume und Alleen zu erhalten. Identifikationspunkte sollten geschaffen werden (in der Lindenallee z.B. gingen lediglich 3 Bäume ein, einer davon durch Pilzbefall). In den Innenhöfen der ersten WKs sollten sogar Obstbäume aus den ehemaligen Kleingartenanlagen stehen bleiben. Allerdings wurde Grünau 1/2 m höher gelegt, so dass die tiefer liegenden Bäume leider versauerten. Pläne und Vorschriften für Grünau (das ursprünglich 25 000 Wohneinheiten umfassen sollte, gebaut wurden ca. 32 000) sahen eine Reihe von Dienstleistungseinrichtungen vor, die zunächst nicht oder nur zum Teil realisiert wurden. Dazu gehören u.a. ein Waren- und ein Einrichtungshaus, Spezialverkaufsstellen, Eisdielen, ein Hallenbad und ein Friedhof.
Viel Wert wurde auf die »Kunst am Bau und im öffentlichen Raum«
gelegt. Auch wenn diese
aufgrund von Verwechslungen nicht immer gleich zu erkennen ist - wie das Beispiel von dem an
der Rückseite angebrachten Wandbild an der 99./100. Schule beweist. Doch das Denkmal, das heute
im Eingangsbereich der Grimmaischen Straße zu bewundern ist und auf ironische Weise
verschiedene Berufsgruppen darstellt, war eigentlich für den WK 8 gedacht. Dafür entstand in
der Stuttgarter Allee 1988 die Skulptur: »Dynamische Formen Arbeitersport - eine Form des
Klassenkampfes«
(In: Architekturbezogene Kunst 1945 - 1988 im Bezirk Leipzig, Leipzig 1989), im
Volksmund einfach »Schnürsenkel«
genannt.
Die Erbauer verwiesen darauf, dass Grünau 1989 noch nicht »fertig«
war. Seit der Wende
wurden jedoch erhebliche Mittel in Wohnumfeldmaßnahmen investiert, was zu einem sehr großen
Teil dem Leiter des Amtes für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW), Herrn Karsten
Gerkens zu verdanken ist. Dieser akquirierte die finanziellen Mittel, die jedoch nur an
Kommunen ausgereicht wurden, die über entsprechende vorbereitende Planungen und
Verwaltungsstrukturen zur Umsetzung verfügten. Beides hatte Herr Gerkens in Leipzig mit auf den
Weg gebracht.
Nun steht Grünau erneut vor großen Herausforderungen. Es muss sich der Konkurrenz anderer
Wohnformen stellen. Der Stadtentwicklungsplan (Step)/Teilplan Großsiedlung sieht einschneidende
Maßnahmen für den Stadtteil vor, die auf den Erhalt eines »lebenswerten«
Grünaus gerichtet
sind. Es geht um Abriss, veränderte Wohnungsgrößen, Nachnutzungsmöglichkeiten. Deshalb steht
das Thema Stadt(teil)umbau im Mittelpunkt der nächsten Veranstaltungen von VHS und KOMM e.V.:
Am 6.3. stellt der Leipziger Architekt Ronald Wanderer Entwürfe vor, wie Plattenbauten
verändert werden können. Am 10.4. informiert der Stadtplaner Joachim Schmitt über erste
Konkretisierungen bei der Umsetzung des Step in den WKs 7 und 8 (Ergebnisse der vorbereitenden
Untersuchungen). Beide Veranstaltungen sind entgeltfrei und finden jeweils 19 Uhr im KOMM-Haus,
Selliner Str. 17 statt.
Dr. Sylvia Börner