Grün-As

Kunst in Grünau: Theo Balden

Mutter mit Kind, Bronze 1965

Vor einer Kulisse aus hohem Gras stand sie, wie eh und je mit kämpferischem Gestus aber irgendwie verloren und nicht am rechten Platz - die Rede ist von der Bronzeplastik »Mutter und Kind« in der alten Salzstraße vor dem abgebrochenen Lindenhof.
Ihr Schöpfer, der Berliner Bildhauer Theo Balden, geboren 1904 in St. Catharina, Brasilien, war einer der Großen in der Plastik der DDR, allerdings eher einem Kreis von Kennern bekannt, denn - obwohl mit antifaschistischer Vergangenheit und daraus resultierender echter Sozialismusgläubigkeit - hat er sich nicht zu plakativen sozialistischen Heldendarstellungen vereinnahmen lassen. Er fiel immer ein bisschen aus dem Rahmen, auch mit seiner ganz besonderen Formensprache, die nicht in der realistischen Tradition wurzelte.

Schon in den fünfziger und sechziger Jahren, zu Zeiten des tiefsten »sozialistischen Realismus« schuf er Plastiken, die damaligen Forderungen nach naturgetreuen optimistischen Darstellungen in keiner Weise entsprachen. Dazu gehört auch die »Mutter mit Kind«, die ebenso wie die zwei Jahre später entstandene »Zornige Araberin mit Kind« sich thematisch auf den Krieg im Nahen Osten bezog. Das Motiv ist uralt, schon die spätgotischen Schutzmantelmadonnen bargen ihr Kind unter einem weiten Umhang. Bei Balden jedoch hat es nichts sanftmütig- gefühlvolles. Energisch, aggressiv abwehrend, den Kopf in jäher Rückwärtswendung gegen den von oben andrängenden Bedroher gewendet, schützt die Mutter ihr Kind unter einem weiten Mantel. Hier geht es nicht um Schönheit, sondern um ein dem Thema entsprechenden gesteigerten Ausdruck. Monumental ist diese Plastik, nicht wegen ihrer Größe - sie ist nur wenig überlebensgroß - sondern wegen der mächtigen Geschlossenheit des plastischen Volumens. Nur zwei durchgearbeitete Details gibt es, die die Masse akzentuieren, das sind die wunderbar feinfühligen großen Hände, die das Tuch vor dem Körper zusammenhalten und der Kopf mit den expressiven Zügen.

Am beeindruckendsten aber ist die große »Höhle«, in der das Kind geborgen steht. Theo Balden war in der DDR der Protagonist der sogenannten offenen Plastik, einer Gestaltung, in der sich Körper und Raum, nach vorn gewölbte und zurückweichende Formen durchdringen. Es ist dies ein künstlerisches Mittel, die Plastik zu aktivieren, den Betrachter im wahrsten Sinne des Wortes miteinzubeziehen; auch bei der »Mutter mit Kind« ist dies deutlich spürbar - die dunkle, schützende Höhlung hat eine fast suggestive Sogwirkung. Dieses plastische Konzept, das Balden in vielen seiner späteren Werke noch verstärkt hat, wurde in den dreißiger/vierziger Jahren von dem englischen Bildhauer Henry Moore, einem der bedeutendsten Künstler des 20 Jahrhunderts entwickelt.

Bild Auf Theo Balden, der nach seiner Verhaftung durch die Gestapo von 1939 bis 1947 im englischen Exil lebte und arbeitete, hat es ganz gewiss entscheidende Impulse ausgeübt. Auch die graphische Behandlung der Bronze-Oberflächen geht offensichtlich auf Moore zurück. Theo Balden ist 1947 nach Deutschland zurückgekehrt, war in Ostberlin Mitarbeiter des »Ulenspiegel« und von 1950 bis 1958 Dozent an der Hochschule für bildende und angewandte Künste in Berlin-Weißensee. Als freischaffender Bildhauer und Mitglied der Deutschen Akademie der Künste war er mit seinen Werken auf Ausstellungen von London bis Paris, von Stocklom bis Helsinki präsent. Er starb am 30. 9. 1995.Unabhängig von ideologisch geprägten Wertungen nach der Wende gehören seine Werke zum Bleibenden, was die Kunst nach 1945 in Deutschland hervorgebracht hat. Die »Mutter mit Kind«, eines der besten Bildwerke, die in der so oft verächtlich gemachten »Plattenbausiedlung« Grünau aufgestellt wurden, verdiente wahrlich ein würdevolleres Umfeld.

B. Rothbauer
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