Grün-As

Leserbrief

zu »Ente Billy« aus Grün-As Nr. 7/2003 bzw. Online-Ausgabe 2003/21. Am 16. Juli wurde folgender Brief an unsere Redaktion geschrieben:

Liebe Billy-Ente,
na das muss ja für dich ein ganz schönes Abenteuer gewesen sein, letztens mit deiner Oma am »Roten Haus«. Manchmal ist es eben echt nicht leicht, die Menschen zu verstehen - und wenn dann auch noch ganz viele Jugendliche auf einem Fleck zu finden sind, kann man sich als kleine Ente auch schon mal ein bisschen fürchten. Aber das ist das Leben - nicht immer leicht, aber immer real. Es würde diesen Rahmen hier sprengen, wenn ich dir versuchen würde zu erklären, was es mit den Menschenkindern so auf sich hat.

Aber ich bin sicher, du wirst da auch selbst bald dahinter steigen, nämlich dann, wenn du ganz allmählich zum richtigen Erpel heran wächst. Dann wird dir das garantiert irgendwann viel zu langweilig, immer nur hinter deiner Oma herzuschwimmen und machen zu müssen, was sie so alles sagt. Du würdest dann viel lieber ganz woanders sein, zusammen mit deinen gleichaltrigen Freunden und den immer schicker werdenden jungen Entenmädels. Und wenn ihr euch dann gegenseitig von euern Abenteuern erzählt und versucht, vor den Entengirls eine gute Figur zu machen, gibt das bestimmt auch ziemlich schnell ein lautstarkes Geschnatter.

Kann sein, dass dann schon mal ein paar alte Gänse vorbei kommen und sich altklug über diesen Lärm beschweren (obwohl die früher garantiert auch nicht anders waren …). Wahrscheinlich wird auch der Platz, an dem ihr euch trefft, ein wenig ungeordneter aussehen, als du das aus Omas Wohnstube gewohnt sein dürftest. Junge Enten brauchen für ihre ersten Flugversuche eben viel Raum, auch auf die Gefahr hin, dass dabei ein paar Gänseblümchen oder Schilfblätter umknicken. Du wirst merken, dass es ganz schön anstrengend ist, erwachsen zu werden und dass du viele Entscheidungen treffen musst, wovon du dich auch schnell überfordert fühlen kannst. Da kannst du manchmal ganz schnell in die Zwickmühle geraten.

Gut, wenn es dann auch ein paar ältere Enten gibt, die wissen, was du gerade durchmachst, und die zu dir hinkommen, mit dir schnattern, sich in deine Situation hineindenken können und mit dir zusammen nach Lösungswegen suchen. Bei den Menschen machen Streetworker diesen Job - du hast sie ja bei deinem letzten Ausflug auch selbst getroffen. Vielleicht gibt es ja in deiner Entenwelt auch jemanden, dem die Entwicklung deiner Persönlichkeit wichtiger ist als der Dreck, den du manchmal hinterlässt.

Zu wünschen wäre es dir jedenfalls, denn mit ein bisschen mehr Toleranz lebt es sich eben einfach besser miteinander - da unterscheiden sich Enten und Menschen nicht. Und so ganz nebenbei macht es ja auch viel mehr Spaß, gegen die Regeln von jemanden zu verstoßen, der immer nur meckert als von jemanden, dem du Vertrauen schenkst. Sieh es bei deinem nächsten Ausflug ans »Rote Haus« mal von der Seite.
Viele Grüße Jan Kaefer, Mobile Jugendarbeit Leipzig e.V.

Hallo liebe Leserinnen und Leser!
Wir bekamen diesen Brief von Jan Kaefer als Antwort auf unser letztes Geschnatter. In einigen Punkten geben wir recht, aber nicht in punkto Toleranz. Toleranz ist nur dann gegeben, wenn andere (Unbeteiligte) damit nicht benachteiligt werden. Und erst recht untolerant ist, wenn Kleinkinder und Spaziergänger durch Glasscherben oder Zigarettenkippen oder Dreck hindurch müssen, verursacht durch gerade entwickelnde Persönlichkeiten. Toleranz beruht auf Gegenseitigkeit, ohne wenn und aber.

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