Grün-As

Unsere Erinnerungen

sind ein Paradies, aus dem uns niemand vertreiben kann…

…mit diesen Worten beschließt Joachim Kasten seinen zweistündigen Vortrag über die Swingmusik Ende der 30-er Jahre. Das Lampenfieber, welches er später im Gespräch zugibt, hat man ihm nun wirklich nicht angemerkt. Viel mehr stand vor dem interessierten Publikum im KOMM- Haus ein Mann, der, so schien es, noch nie etwas anderes gemacht hat.

Bild Auch ich sitze unter den Zuhörern und ertappe mich dabei, wie meine Füße sich selbständig machen und zu wippen beginnen. Was, so frage ich mich, bewegt einen Mann seines Alters, an einem heißen August-Tag anderen Leuten einen vergnüglichen Nachmittag zu bereiten, anstatt es sich auf dem Balkon gemütlich zu machen? Wenige Minuten später beantwortet sich die Frage von selbst: Joachim Kasten geht in seinen Erinnerungen auf und das ist ansteckend. Auch wenn man bei 34 Grad durch bloßes Sitzen schon ins Schwitzen kommt, heizt er den Swingbegeisterten mächtig ein - mit Witz, Wissen und gelebter Geschichte.

Bald schon bewahrheitet sich der Satz, den er wie beiläufig fallen lässt: »Musik kennt keine Grenzen und braucht keinen Dolmetscher!« In Zusammenarbeit mit »Radio Blau«, wo er den gleichen Vortrag in einer Sendung zu Gehör brachte, bemüht sich der gebürtige Leipziger um die Neuauflage des »Liedes der Sachsen«. Zur altbekannten Melodie von »God save the Queen« schrieb er einen zeitgemäßen Text, der als Treubekenntnis der Sachsen zu ihrem Freistaat Geltung erlangen soll. Die Uraufführung des Liedes fand übrigens auf dem 10. Grünauer Parkfest statt. Dort wurde es vom Grünauer Chor vorgetragen und fand dankbare und interessierte Zuhörer. Leider verpasste der Initiator den Auftritt, da er sich gerade auf einer Reise befand.

Dass Musik nur eine von seinen vielen Interessen ist, werden treue Grün-As-Leser schon bemerkt haben. Denn sein Name stand schon das eine oder andere Mal in unserem Stadtteilmagazin. Getreu nach dem Motto: »Wer rastet, der rostet« schreibt der rüstige Wahl-Grünauer, der vor seinem Eintritt ins Rentenalter als Fachlehrer, und 12 Jahre als Direktor in der Erwachsenenbildung tätig war, seit März 2003 ehrenamtlich für das Grün-As.

Seine Artikel erschienen auch schon in anderen Leipziger Zeitungen. Und wer diese aufmerksam liest, erkennt schnell, was dem 78-Jährigen am Herzen liegt. Zum einen sind es die Reisen innerhalb Deutschlands und so heißt denn auch die Rubrik seiner Berichte: »Deutschland - immer eine Reise wert!« Und da alles, was er tut, einen gewissen Sinn hat, verbindet er stets die Reiseberichte mit dem Hinweis: »Damit bleibt unser Geld im Lande, erhält und schafft in der Region Arbeitsplätze.« Seine meist fünftägigen Fahrten gehen auch nicht einfach ins Blaue, sondern sind sorgfältig geplant und man kann sie getrost als Studienreisen bezeichnen.

Erst kürzlich war er auf den Spuren Henry Dunants - dem Gründer des Roten Kreuzes und der Genfer Konvention, am Bodensee unterwegs, besuchte das Museum dieses Schweizer Humanisten, der dort seine letzten Lebensjahre verbrachte. Sein Interesse für Dunant kommt nicht von ungefähr. Mit 17 Jahren wurde er selbst aktiver Rotkreuz-Sanitäter. »Das«, erzählt er augenzwinkernd »tat er nicht zuletzt deswegen, damit er nicht zur Hitlerjugend musste.«

Sein politisches Interesse ist durch seine Jugend im nationalsoziastischen Deutschland geprägt worden. Ähnlich wie die heutige Jugend, war Joachim Kasten ein begeisterter Musik-Fan und musste früh erleben, wie ignorant das deutsche System damals war, indem sie den aus Amerika stammenden Swing, zur Negermusik deklarierten und verboten. Mit 18 Jahren wurde er 1943 zur Wehrmacht einberufen und war als Sanitätsgefreiter an der Ostfront im Einsatz. Dort wurde er schwer verwundet und verbrachte den Rest des Krieges in verschiedenen Lazaretten, was ihm die Gefangenschaft ersparte.

ImageLink Die Zeit wird lebendig, wenn er über seine Erlebnisse spricht und man lernt verstehen, warum seine primären Anliegen das Erinnern und Mahnen sind. Gerade in der heutigen Zeit und aus gegebenen Anlass wird er nicht müde, auf bestehende gesellschaftliche Probleme hinzuweisen und für Frieden und an die Menschlichkeit zu appellieren, sowie gegen das geschichtliche Vergessen zu wirken. Mit diesem Anliegen verbinden sich Namen wie Nelson Mandela, Martin Luther King und auch Henry Dunant, mit deren Idealen er sich indentifiziert.

Am Ende unseres Gespräches weiß ich, dass das Erinnern ebenso wichtig ist wie das Zuhören und, dass gelebte Geschichte noch vieler Zuhörer bedarf.
Klaudia Naceur

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