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Gesundheitsreform oder Deformation des Gesundheitswesens?

Bild Auswirkungen? Zum Beispiel diese!: Montag, 5. Januar 2004 - praktisch war das der erste normale Arbeitstag des Jahres 1 nach der Gesundheitsreform, ca. 8.15 Uhr. Der Schnee wurde auf öffentlichen Wegen nicht geräumt. Eine Rentnerin informiert uns in der Apotheke: »Eine Frau ist gestürzt!« Die gestürzte Frau war 81 Jahre alt, Herzschrittmacher-Patientin, musste nur deswegen ins Ärztehaus Karlsruher Straße 54, weil sie die Überweisung zum Facharzt in Lausen holen wollte. Das bekamen wir dann im Laufe der 60 Minuten mit, die sie bei uns auf der Pritsche lag. Sie musste dann per Taxe nach Lausen und schließlich nach Hause gefahren werden, weil sie von den Aufregungen stark geschwächt war. Die Gesetzlichen Krankenkassen haben nicht in erster Linie ein Ausgaben-, wohl aber ein Einnahmen-Problem. Arbeitslose und Sozialhilfe-Empfänger bringen wenig in die Krankenkasse ein, erfordern aber häufiger hohe Ausgaben. Dabei helfen »schön-gerechnete« Arbeitslosenzahlen nicht; sie verschärfen die Probleme nur.

Zur Zeit »wirkt« die »Gesundheitsreform« seit sechs Wochen. Es gibt die ersten »wieder« von Zuzahlung befreiten Patienten, denn schwer chronisch Kranke Sozialhilfe-Empfänger erreichen rasch die 1% ihres Bruttoeinkommens. Als ich zum Beispiel am 15. Januar einer 80-jährigen Sozialhilfe-Empfängerin (Diabetes, Blasen-Inkontinenz, Herz-Erkrankung) ihre Arzneimittel und Einlagen brachte, konnte sie die 25 € Zuzahlung nur bezahlen, weil sie am Vortag das »Weihnachtsgeld« vom Sozialamt erhalten hatte. Von der Zuzahlung war sie noch nicht »wieder befreit«. Aber auch diese Patientin muss ihre apothekenpflichtigen Arzneimittel (früher: nicht rezeptpflichtig) voll selbst bezahlen - darunter fast alle phytotherapeutischen, d.h. pflanzlichen Medikamente.

Da die Patienten durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG), wie die Gesundheitsreform eigentlich heißt, angehalten wurden, Arzneimittelvorräte anzulegen, gibt es in unserer Apotheke deutliche Umsatzrückgänge seit Januar. Wenn diese im März/April andauern, sind Entlassungen nicht mehr zu vermeiden. Ulla Schmidt äußerte in einem LVZ-Interview im Januar den Satz: »In einigen Jahren wird das Gesundheitswesen in Deutschland nicht mehr wiederzuerkennen sein.« Wenn dieses Gesetz nicht grundlegend geändert wird, hat sie Recht. Die Formulierungen dieses Gesetzes, die auch von den Fachleuten zum Teil nicht entschlüsselt werden konnten, bzw. überhaupt nicht umsetzbar waren, halten die gesamte Bevölkerung seit drei Monaten in Atem. Viele der gesetzlich verordneten Veränderungen sind in ihren Auswirkungen noch nicht zu übersehen.

Und doch führen die neuen Regelungen zu einem gewaltigen Aufschwung. Nämlich der Bürokratie. Erste Berechnungen Mitte Januar 2004 (an der Fachhochschule Köln, Fachrichtung Medizin-Ökonomie) ergaben, dass je 10 € - der an die Krankenkassen abzuführenden Praxisgebühr - zwischen 2 € und 2,50 € Verwaltungskosten beim Arzt entstehen, die dieser zusätzlich tragen muss. Die Krankenkassen überschütten die Patienten mit einer Flut an Nachweisheften, die von Apotheken, Arztpraxen, Krankenhäusern, Physiotherapeuten usw. handschriftlich geführt werden sollen, obwohl die dabei geforderten Daten 14 Tage nach Quartalsende lückenlos auf den Computern der Krankenkassen pro Patient, Arzt, Apotheke usw. aufgeschlüsselt zur Verfügung stehen. Ganz abgesehen davon, dass alle oben angeführten Gesundheitseinrichtungen diese Daten über Computer zusätzlich den Patienten übergeben könnten - mit einem Bruchteil des Aufwandes. So weit zu den ersten Auswirkungen der »Gesundheitsreform«!
Friedrich Roßner, Fachschuldozent, Pharmazierat und Apothekenleiter

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