Magdas Querblick
Respektabler Werbegag
Leipzig ist um einen Einwohner reicher. Nun dürfen Sie dreimal raten, wer den - sagen wir es mal ganz
salopp - »abgefasst«
hat! Nein, es war nicht Gohlis mit dem schicken Waldstraßenviertel, auch nicht das
boomende Plagwitz und erst recht nicht die Super-Innenstadt mit ihren toll sanierten
Gründerzeithäusern. Grünau heißt der favorisierte Stadtteil des Neuzugangs. Und es ist nicht
irgendeiner, der fehlgeleitet und wider besseren Wissens, sein Lager im - oft zur unansehnlichen
Plattenbausiedlung degradierten - Leipziger Randgebiet aufschlägt. Kein geringerer als Kontakt-
Vorstandschef Rainer Löhnert gibt sich zukünftig die Ehre inmitten des »Problem«
-Komplexes 7, im
Marsweg zu logieren.
Dabei wird er allerdings kein Luxus-Appartment sein Eigen nennen - wie man es vielleicht von Leuten
seines Standes erwarten würde. Nein, der für seine Bescheidenheit bekannte Genossenschaftsvorsitzende
begnügt sich mit einer einfachen 32 Quadratmeter großen Einraumwohnung im Erdgeschoss und erklärt damit
ganz offiziell: In Grünau lohnt es sich, zu wohnen. »Respekt«
, raunen da die Grünauer.
»Billiger Werbegag«
, frozzelt man auf höchster kommunaler Verwaltungsebene und bei konkurrierenden
Wohnungsunternehmen. Sie selbst werden zwar nicht müde, stets zu betonen, wie schön der Stadtteil ist.
Aber hier leben? Um Gottes willen! Niemals!
Freilich, vor 25 Jahren, da war das was anderes. Da freuten sich Akademiker, Bauarbeiter,
Kombinatsdirektoren und Kaufhallenkassiererinnen gleichermaßen über einen Schlüssel in die trockenen,
warmen vier Wände mit Innenklo und Warmwasser. Damals hätte Rainer Löhnerts Entscheidung nach Grünau zu
ziehen wohl kaum Verwunderung hervorgerufen - allenfalls Neid gepaart mit dem Spruch: »War ja klar,
dass der hier ne Wohnung kriegt. Der sitzt ja praktisch an der Quelle...«
.
Und nun? War es tatsächlich ein geschickter Schachzug, um den anderen eins auszuwischen oder gar um
neue Bewohner nach Grünau zu locken. Ich selbst das nur so nebenbei - hätte gern einen so netten
Nachbarn, mit dem man stundenlang quatschen und Rotwein trinken kann. Also eiskalte Berechnung,
Propaganda? »Nein«
, sagt Löhnert selbst. Er habe schon vor der Wende in Grünau gelebt und nachdem er
lange Jahre in seinem Kleingarten in Beucha wohnte, habe es ihn wieder hierher gezogen. Und noch etwas:
»Grünau ist einfach schön und es lebt sich hier gut. Mich überkommen richtige Heimatgefühle.«
So schön kann die Liebeserklärung an einen Stadtteil klingen. Und selbst wenn es nur ein Werbegag sein sollte, dann ein respektabler.