Geschichten von 100 und einem Samowar
Teil 2
Zurück in die Gegenwart: Samoware sind übrigens auch hierzulande gar nicht so selten. Gelten sie doch als typisches
Gastgeschenk. Aber sammeln? »Wie kommt man denn dazu?«
, frage ich den Rentner und der holt tief Luft und weit aus: »Ich bin
seit jeher fasziniert von Russland, von dem Land an sich, den Menschen, der Geschichte und natürlich der Kultur. Der
Samowar ist einfach ein ganz spezieller Teil dessen. Er war der Mittelpunkt jeder Zusammenkunft und der Inbegriff des
gesellschaftlichen Lebens in Russland.«
Er studierte die Sprache, las Tolstoi und Puschkin und stellte fest, dass selbst
die um den Samowar nicht drum herum kamen, dass diese Tradition im Leben der Dichter selbst und auch in deren Werken immer
eine Rolle spielte. Sein Interesse für das eigentümliche Haushaltgerät war geweckt. Vor über 50 Jahren fuhr er dann das
erste Mal in die Sowjetunion - nach Kiew und Leningrad.
Kindheitserinnerungen
Seither bereiste er dieses riesige Land mehr als 40 Mal - mal als Tourist, mal als Reiseleiter oder Dolmetscher. Er war in Armenien wie in Moskau, am Baikal und am Ural, traf die unterschiedlichsten Menschen und schloss Freundschaften, die bis heute ihre Gültigkeit haben und brachte natürlich jedes Mal mindestens einen Samowar mit nach Hause.
Langsam aber sicher steckt mich Anton Groß mit seiner euphorischen Erzählweise an, weckt eine Sehnsucht nach weiten
Landschaften, Birkenwäldern, gemütlichen Blockhütten und vor allem netten Menschen. Und trotzdem frage ich mich, warum ihn
gerade Russland so fasziniert - ein Land, das bei vielen Ostdeutschen eher zwiespältige Erinnerungen weckt. Und als ob er
es geahnt hätte, spricht er aus, was er so lange für sich behalten hat und was doch so Vieles zu erklären vermag: »Wissen
Sie«
, sagt der fröhliche Mann auf einmal sehr leise und in Gedanken versunken, »das Interesse für die einstige Sowjetunion
kam nicht von ungefähr. Dort liegen meine Wurzeln.«
In Malin, einem kleinen Ort in der Nähe der heutigen ukrainischen
Hauptstadt Kiew wurde er 1935 als so genannter Wolyniendeutscher geboren. Einiges habe er trotz seiner jungen Jahre
miterlebt und nur durch Zufall hätte er letztlich im Osten Deutschlands seine Heimat gefunden. »Die Liebe zu meinem
Geburtsland und den Menschen ist geblieben.«
Mehr möchte er eigentlich nicht verraten, aber als Anton Groß bemerkt, wie ich ungläubig beginne mit dem Kopf zu schütteln, zeigt er mir seine Memoiren, die er begonnen hat zu schreiben und denen er einen Großteil seiner Zeit widmet. Denn wie so viele seiner Altersgenossen, möchte er nun sein Leben aufarbeiten. Ich lese von den Erlebnissen des kleinen Anton, sehe Bilder, lasse meiner Phantasie freien Lauf und schweige betreten und kann es kaum fassen, dass dieser Mann trotz seiner Erlebnisse keinen Groll hegt. Im Gegenteil: Seit über 50 Jahren setzt er sich für die Freundschaft beider Länder ein - nicht zuletzt auch in der offiziellen Organisation der DDR (DSF). Unsere lockere Plauderei hat einen Punkt erreicht, der nichts mehr mit dem ursprünglichen Anlass meines Besuchs zu tun hat.
Die geheimnisvolle Kiste
»Sie müssen doch schon Kopfweh haben«
, unterbricht Renate Groß lachend unsere beinah andächtige Stimmung. Sie kann es kaum
glauben, dass wir schon seit mehr als drei Stunden am Samowar sitzen und immer noch nicht im Nachbarzimmer gelandet sind,
wo mir ihr Mann sowohl seine Sammlung als auch das ominöse Putin-Geschenk zu präsentieren gedenkt. Damit hat sie meine
Neugier und den Stolz ihres Gatten wiedererweckt und wir wechseln rasch die Räumlichkeit. Im Reich der Samoware - einem
etwa 20 Quadratmeter großen Zimmer verschlägt es mir abermals die Sprache. Nun, da ich weiß, dass es keineswegs leicht war,
an ein solches Gerät zu gelangen, erscheint mir die ungeheure Anzahl der gesammelten Kostbarkeiten umso eindrucksvoller.
Seit an Seit reihen sich große und kleine, dicke und schmale Gefäße - die einen aus Porzellan, die anderen aus Kupfer oder
Zinn und zu jedem von ihnen könnte der Sammler eine kleine Geschichte erzählen.
Am Interessantesten ist wahrscheinlich jene, die sich um eine braune Holzkiste rankt, die auf einem runden Tisch inmitten
des kleinen Samowar-Museums steht. Und die beginnt vor über fünf Jahren und geht so: Auf der Leipziger Geschenke-Messe hat
Anton Schwarz einen kleinen Stand und dort wird der »Verlag für die Frau«
auf ihn aufmerksam. Man tritt mit der Idee an ihn
heran, ein Buch über Samoware herauszugeben. Ein Manuskript - gesammelte Informationen über seine Leidenschaft, lag schon
längst in Anton Groß's Schublade. Gemeinsam mit Dagmar Schäfer beginnt der passionierte Sammler ein Buch zu erarbeiten und
2003 erscheint das Werk unter dem Titel »Der Samowar - Russland lädt zum Tee«
.