Geschichten von 100 und einem Samowar
Im Portrait: Anton Groß - Freund Russlands und sein eigner Museumsdirektor
»Und Sie wollen jetzt mit mir Tee trinken?«
, mit dieser Frage werde ich von einem kleinen, rundlichen Herrn mit einem
sympathisch-gewinnenden Lächeln und lustigen Augen bereits im Treppenhaus begrüßt. Verabredet bin ich mit Anton Groß, einem
Grünauer Rentner, der seit Oktober vergangenem Jahr einen mittleren Medienrummel auslöste, weil ihn ein Brief erreichte -
ein Brief und ein Präsent von keinem Geringeren als dem russischen Präsidenten Vladimir Putin.
Mit einladender Geste bittet mich der 72-Jährige in seine 4-Raum-Wohnung mit Blick über die Dächer Grünaus, in der er gemeinsam mit seiner Frau Renate lebt. Neugierig trete ich ein und werde sogleich ins Wohnzimmer geleitet. Dort erwartet mich ein typisch russischer Empfang. Der Fernseher läuft - das Programm und die Sprache sind russisch. Ein Schmuckstück von Samowar thront auf dem Tisch und zieht meinen Blick sofort auf sich, daneben die üblichen Zutaten für eine gelungene Teezeremonie: Kandiszucker, eine Art Marmelade, russisches Konfekt und eine kleine Flasche Vodka. Die wird aber nicht geleert, es ist ja erst Nachmittag und wir sind eben doch in Deutschland und nicht 2000 Kilometer weiter östlich - obwohl ich mich so fühle.
Interessante Haushaltgeräte
Während mir Anton Groß erzählt, dass ein russisches Treffen ohne »Wässerchen«
undenkbar ist und dass der Samowar seit er
sich vor etwa 300 Jahren in der russischen Bevölkerung durchsetzte zum Mittelpunkt jeder Zusammenkunft wurde, hantiert er
routiniert mit den Tee-Utensilien und ich schaue ihm fasziniert zu. »Viele denken, dass der Samowar so eine Art Teemaschine
ist. Das ist aber falsch.«
, räumt der Kenner mit der Unkenntnis der meisten Deutschen auf. Vielmehr sei es eine Art
Wasserkocher, wörtlich übersetzt: Selbstkocher. Denn in dem beeindruckenden, formschönen und größtenteils reich verzierten
Gerät, welches klassisch mit Holzkohle und neuerdings elektrisch beheizt wird, befindet sich lediglich Wasser. Der Rest, so
erfahre ich, passiert »außerhalb«
. Ein Sud - ein starker Tee - wird zuvor gekocht und anschließend mit heißem Wasser je
nach Geschmack verdünnt und mit den auf den Tisch befindlichen Zutaten verfeinert.
Der passionierte Teetrinker, der sein Getränk stark, schwarz mit Milch und nicht so süß mag, hat noch einen unschlagbaren Trumpf im Ärmel: Neugierig schlürfe ich weiter meinen Schwarzen Tee, während er eine Platte russischer Folklore auflegt. Die Stimmung würde ich als angenehm skurril beschreiben. Wir geraten ins Plaudern und je mehr mir Anton Groß von sich und seinem Leben erzählt, desto kälter wird das Getränk vor mir und desto gebannter lausche ich dem Mann. Dass er Samoware sammelt und es in 35 Jahren auf mittlerweile über 100 Stück gebracht hat, wusste ich bereits und hätte es spätestens geahnt, als ich durch den Korridor geführt wurde und die ersten Exemplare bewundern durfte - darunter auch sein Allererster. Den hatte seine Frau ihm einst aus der Sowjetunion mitgebracht.
Anton Groß ist voll und ganz in seinem Element. Die Geschichte der Teetradition in Russland hat er sicher schon etliche
Male erzählt - ich kenne sie jedoch noch nicht. So höre ich erstaunt, dass diese noch gar nicht so alt ist und alles damit
begann, dass Zar Michail Fjodorowitsch dem Mongolenkhan Altyn im Jahr 1638 wertvolle Zobelfelle sandte und als Gegengabe 4
Pud - zirka 65 Kilogramm - Tee erhielt. »Am Zarenhof wusste man damit natürlich nichts anzufangen und empfand die Sendung
von getrockneten Blättern als eine Beleidigung«
, gibt der Direktor seines eigenen Museums so anschaulich zum Besten, als er
wäre damals dabei gewesen. Sehr schnell hätte man allerdings das Getränk in Russland zuzubereiten und schätzen gelernt.
Doch bevor Tee und Samowar auch in den ärmsten Stuben Einzug hielten, verging eine ganze Weile. Denn: »Tee war teuer und
blieb zunächst dem Adel und dem reichen Bürgertum vorbehalten.«
Später jedoch kam kein Haushalt - ob arm oder reich - ohne
dieses, im russischen Tula gefertigte, Gerät aus.