Gib Kette, Alter!
Contest lockt BMX-Szene nach Grünau (1)
Am Abend des 18. April war Organisator Sven Bemmann mindestens genauso platt, wie die 29 Teilnehmer des BMX-Contests im hiesigen Stadtteil. Platt, aber zufrieden. Konnte man doch die Premiere als durchaus gelungen bezeichnen. Fünf Stunden tobte auf der Skateanlage an der Parkallee im WK II der Bär. Der erste Event dieser Art in Leipzig überhaupt, hatte sich bis über die Stadtgrenzen hinaus herumgesprochen und so kamen die vielen großen und kleinen Freunde der 20-Zoll-Räder sogar aus dem fernen Berlin nach Grünau gepilgert.
»Wir wollten eine Veranstaltung für Jugendliche anbieten. Da wir Kontakte zur BMX-Szene und darüber hinaus so
eine Anlage vor der Tür haben, lag die Entscheidung für den Contest ziemlich nahe«
, erklärt Bemmann vom Leipziger
Triathlon e.V. - der Verein ist in Grünau kein Unbekannter. Mit sportlichen Highlights wie dem Swim & Run oder dem
Triathlon ist er rund um den Kulkwitzer See schon mehrfach erfolgreich in Erscheinung getreten. Nun also ein Ausflug in die
Jugend-Subkultur der BMX-Szene, der sich bei dieser positiven Resonanz auch schnell zur festen Größe im Event-Kalender
mausern könnte.
Mobilisiert habe man zwar , das meiste laufe jedoch über Mund-zu-Mund-Propaganda, erzählt der Triathlon-Experte Bemmann,
der mit seinem Team ab 12 Uhr gespannt auf die ersten Anmelder wartet. Die lassen sich Zeit, testen erstmal den vier Jahre
alten Betonpark mit den vielen »Transitions«
, »Hips«
, »Spins«
und
»Boxen«
. So werden die verschiedenen Elemente im Skate-Jargon genannt. »Gerechnet haben wir mit
etwa 20 Teilnehmern, auf 50 gehofft und 200 hätten alle Erwartungen übertroffen«
, sagt der drahtige junge Mann
mit der Warnweste und der 08 auf dem Rücken. Dabei schaut er noch etwas nervös in die Runde.
Nach und nach bildet sich dann doch eine Schlange am Org-Zelt, werden die Startgebühren zusammengeklaubt, Namen aufgeschrieben und Nummern ausgegeben. Mitmachen dürfen alle im Alter von 12 bis 30 Jahren, die es sich zutrauen, mit den kleinen Rädern ohne Sturz über die roten und gelben Hügel zu kommen. Das Rad kann man sich notfalls borgen, der Helm ist Pflicht. Das Starterfeld unterteilt sich in drei Gruppen - Anfänger, Amateure und Amateure II. Letztere sind die, die schon semi-professionell über die Piste fliegen. Richtige Profis sind nicht gewollt. Es soll ein Wettkampf unter Hobbysportlern sein. Jeder soll sich beweisen können.
Als 14 Uhr der »Startschuss«
für die »Anfänger«
fällt, die ersten behelmten Kids
noch zaghaft über die Betonhügel fahren, kleine Sprünge wagen, dabei hoffen, in der ihnen zur Verfügung stehenden einen
Minute, so stylisch auszusehen wie ihre großen Vorbilder und von jenen dafür mit Jubel und Applaus bedacht werden,
verfliegt auch die Anspannung bei Sven Bemmann. Schnell wird er auch noch seiner Moderatorenrolle entbunden, denn die
Tricks kann er beim besten Willen nicht alle beim Namen nennen. Ein schlaksiger junger Mann, von allen nur »Kette«
genannt, übernimmt das Mikro und erläutert dem teils unwissenden Publikum, was sie da gerade an
Kunststücken zu sehen bekommen.
Die auf einem vorderen Hügel postierte Dreierjury - allesamt BMX-Experten - bewertet von Null bis sechs Punkten in
A-(Technik) und B-Noten (Style) und hat gleichzeitig im Auge, dass sich der ein- oder andere zum Jux oder aus Unsicherheit
über das eigene Können, in eine niedrigere Gruppe hat einteilen lassen. Zwischendurch muss einem kleinen Wettkämpfer , dem
das Hinterrad blockiert, mit einem Ersatz-Bike ausgeholfen werden. Die Zuschauer honorieren die spontane Aktion mit
tosendem Jubel und noch lauterem Anfeuerungen. Die werden in ihrer Intensität allerdings noch getoppt, als Amateure und
später die Halbprofis ihre Runden drehen. Spektakuläre Tricks, Drehungen, Flüge, aber auch kleine Patzer und Stürze lassen
die Spannung nicht abreißen. Einige können nur mit eigener Musik, anderen ist das völlig egal. Alle aber lassen sich durch
»Ah's«
, »Oh's«
und immer wieder dem szeneeigenen Ruf »Gib
Kette, Alter«
zu Höchstleistungen puschen, aber auch über missglückte Versuche hinwegtrösten. Spontanmoderator
»Kette«
aus der Amateur II-Gruppe gab letztlich am besten, schnellsten, höchsten, schwierigsten und
trickreichsten Kette und konnte die Street-/Park-Kategorie für sich entscheiden.
Wer danach noch immer nicht genug von den schnellen, stylischen Bikes und ihren hippen Besitzern hat, kann sich einen
zweiten Wettbewerb anschauen - den Stabsprung. Ein kurzer Anlauf auf gerader Strecke muss genügen, um über ein Hindernis zu
springen. Angefangen bei 40 Zentimetern, steigern sich die Cracks dieser Disziplin scheinbar mühelos auf bis zu 90
Zentimeter und ernten sowohl Ungläubigkeit als auch totale Begeisterung. Höhe- und Abschlusspunkt des BMX- Contest setzt
die Kategorie »best trick«
, bei der noch mal alles aus Beinen und Rädern geholt wird.
Bahnkenner David überzeugt grandios mit einem atemberaubenden Sprung (als Laie vermute ich einen Turndown: Das Rad wird dabei seitlich eingedreht, dass es senkrecht und gegen die Fahrtrichtung wie ein Segel steht, das Vorderrad wird um 180° gedreht, bestenfalls ist es mit dem Hinteren auf einer Linie) und landet damit auf dem Siegerhügel. So richtig leer geht oder fährt an diesem späten Samstagnachmittag ohnehin keiner nach Hause. Auch wer keinen Preis in Form von neuer Bereifung, Trinkflaschen oder Sportswear ergattern konnte, hat das Gefühl, trotzdem ein paar kurzweilige Stunden in Grünau verlebt zu haben und hofft auf eine Wiederholung im nächsten Jahr.
Klaudia Naceur