Erdbeeren gegen Nussknacker
Wendts schließen nach 37 Jahren ihr Geschäft und erinnern sich
Im Hinterzimmer des kleinen Schreibwarengeschäftes in der Schönauer Straße 121 herrscht gedrückte Stimmung. Ladenbesitzerin Dagmar Wendt, ihr Mann Horst und Tochter Annett sitzen am Küchentisch - der bevorstehende Abschied zum Jahresende fällt ihnen sichtlich schwer. Immer wieder versagt der gestandenen Geschäftsfrau die Stimme, als sie über die zurückliegenden 37 Jahre spricht, die sowohl sie, ihre Familie, aber auch Grünau geprägt haben.
Damals wollte es der Zufall, dass Dagmar Wendt den Papierwarenladen von ihren Vorgängern, den Auges übernahm. Diese hatten das Geschäft 1951 eröffnet und boten das noch heute gültige Sortiment aus Schreibwaren, Schulbüchern und Erzgebirgserzeugnissen an. Ihre Kundschaft beschränkte sich vor dem Bau der Großwohnsiedlung auf die Bewohner der Meyerschen Häuser und der beiden Siedlungen.
Zu ihnen gehörte auch Familie Wendt: »Wir hatten 1965 ein Haus in der Siedlung Grünau gekauft und sind mit
meinen Eltern hierher gezogen«
, erinnert sich die heute 71-Jährige. Eine schicksalhafte Entscheidung, wie sich
herausstellen sollte, denn sonst wäre Sohn Lutz wohl nie mit seinem Vater zu Auges gegangen, um dort seine Mosaik-Heftchen
zu kaufen. »Bei einem dieser Einkäufe habe ich gescherzt, dass wir den Laden ohnehin bald übernehmen und Auges
gingen darauf ein. So gab ein Wort das andere und am Ende waren alle von der Idee begeistert«
, erzählt Horst
Wendt lächelnd.
Das war Anfang der 70er Jahre. Seine Frau, eine gelernte Großhandelskauffrau, war zu der Zeit schon zweifache junge
Mutti, machte die Bilanzen für den Betrieb ihres Vaters und fuhr nebenbei Taxi, um sich das Geld für den Laden zu
verdienen. Dies kam als Sicherheit auf ein Sperrkonto, denn: »Von Kauf auf Pump, habe ich noch nie etwas
gehalten«
, meint sie resolut. Den Gewerbeschein, den sie beim Rat der Stadt beantragt hatte, bekam sie ohne
Probleme. Aber es dürfte einer der letzten gewesen sein, die in Leipzig ausgestellt wurden. Alle Hürden waren genommen und
so konnte 1972 ihr Geschäft auf Kommissionshandelbasis im Rahmen der HO-Industriewaren starten.
Die Waren übernahm Dagmar Wendt von ihren Vorgängern, neue zu beschaffen war hingegen gar nicht so einfach.
»Als private Läden waren wir natürlich ein wenig benachteiligt«
, geben sie einen Einblick in die
Schwierigkeiten des DDR-Geschäftslebens. Da half nur Eigeninitiative. Mit dem Trabi fuhren die Eheleute überall hin und
organisierten sich die benötigten Bestände. Besonders die Erzgebirgskunst war nur mit ganz viel Cleverness zu ergattern.
Wendts hatten gleich mehrere Strategien, um an die heiß begehrte Ware zu kommen.
Zum einen konnte IFA-Mitarbeiter Horst Wendt mit Auto- und Motorrad-Ersatzteilen tauschen: »Das kann man sich
heute gar nicht mehr vorstellen «
, meint der 80-Jährige kopfschüttelnd, »Wir haben auch Erdbeeren in
Seebenisch geholt und sind mit den Körben nach Seiffen gefahren. Die hatten doch dort so gut wie nichts und wir konnten es
ihnen beschaffen. Natürlich gab es für unsere Erdbeerlieferanten im Gegenzug einen Nussknacker oder eine Pyramide - nur so
funktionierte das doch.«
»Aber«
, wirft seine Frau ein, »es war uns immer wichtig, für
unsere Ladenkunden genügend Waren anbieten zu können - es gab nicht alles unter dem Ladentisch.«