Grün-As

Sparkasse verlässt den Wohnkomplex 8

Erst dementiert, jetzt zementiert: »Maßnahmenpaket« mit Filialschließung in der Selliner Straße - Auch Automaten werden entfernt - 1,2 Millionen fließen in andere Grünauer Standorte

66 Stichpunkte enthält das Pressedossier, das Sparkassenvorstand Martin Bücher am 1. November der Öffentlichkeit vorstellt. Besonders für Grünau ist das Papier hochinteressant: Punkt 21 bestätigt den intensiven Ausbau am Ratzelbogen (»Grün-As« berichtete), etwas weiter unten werden Umbauten in den Filialen Allee-Center und Plovdiver Straße angeführt. Das lässt die Investitionen im Stadtteil auf insgesamt 1,2 Millionen Euro ansteigen. Punkt 24 lautet selbstbewusst: »Setzen in Grünau im kommenden Jahr weitere Akzente.« Einer dieser Akzente jedoch, Punkt 28, repräsentiert die Kehrseite der Medaille: »Standort Selliner Straße wird aufgegeben, Betreuung erfolgt künftig über die neu gestaltete und nur 1,5 Kilometer entfernte Filiale Ratzelbogen.«

Bereits im Juli wurden die Verhandlungen mit dem Ratzelbogen-Vermieter bekannt. Auf »Grün-As«- Nachfrage zu den Folgen für das Filialnetz reagierte die Sparkasse erst gar nicht, dann mit einer deutlichen Absage an schnelle Schließungen: »Konkrete Beabsichtigungen, da etwas zu tun, gab es nicht und gibt es nicht«, sagte Bücher gegenüber dieser Zeitung. Hingegen wurden die positiven Neuerungen schon im Sommer umfassend erläutert: Im Allee-Center werde modernisiert, die größte Umgestaltung erfahre die Geschäftsstelle am Ratzelbogen. Jetzt liefert die Sparkasse die beeindruckenden Zahlen nach (850.000 Euro für den Ratzelbogen, 320.000 Euro im Allee Center und 50.000 Euro für die Filiale Plovdiver Straße) - und die Schließung als Nebenprodukt.

Diese habe sich erst Mitte Oktober abgezeichnet, versichert Sparkassenvorstand Bücher: »Wir haben im Ratzelbogen nochmals eine Option gezogen, vergrößern uns dort mehr als zunächst geplant.« Durch den Rückzug aus dem Wohnkomplex 8 kann die Sparkasse ihre Ausgaben reduzieren, es entfallen Miet- und weitere Kosten. Nicht gespart werden soll Bücher zufolge am Personal: Die Arbeitsplätze bleiben erhalten, ziehen in den Ratzelbogen um. Die Kunden der aktuellen Geschäftsstelle werden dann von dort betreut. Etwa sechs Wochen vor dem Wechsel will die Kasse per Brief über die Schließung informieren.

Zu rechnen ist damit im Frühjahr 2011, wenn die Punkte des sogenannten Maßnahmepakets umgesetzt werden sollen. Von diesem ist nicht nur Grünau im Guten wie im Schlechten betroffen, vielmehr enthält der vom Verwaltungsrat bestätigte Katalog eine grundsätzliche Straffung des gesamten Filialnetzes. Die Beteiligung der Sparkasse am zukünftigen Quartiersbus Grünolino ist eine Ersatzleistung für die Schließung in der Selliner Straße. Die neue Linie fährt auf ihrer Runde durchs Viertel auch alle Filialen der Sparkasse an. Das könnte insbesondere deshalb wichtig werden, weil sich neben den Mitarbeitern auch sämtliche Automaten aus dem WK 8 verabschieden.

Die nächsten Möglichkeiten für Bargeldbeschaffung und Überweisung sind ab dann in der Plovdiver Straße und eben im Ratzelbogen. Bücher begründet: »Der Betrieb der Geräte ist sehr kostenintensiv. Den Weg halten wir für vertretbar.« Dass es ausgerechnet im WK 8 zur Beschneidung kommt, ist eine Überraschung. Wo die Sparkasse auszieht, gibt es mit Selliner Passage und Geschäften an der Miltitzer Allee einen lebendigen Einzelhandel. Apotheker und Vermieter Thomas Neitemeier schreibt vor allem mit Angeboten im medizinischen Bereich eine beachtliche Erfolgsgeschichte, deren nächstes Kapitel ein weiteres Ärztehaus ist.

Dazu kommt: Noch vor zwei Jahren kratzte die Chefetage der Sparkasse andernorts kräftig an der Filiale Alte Salzstraße, eine Schließung wurde nur durch das Engagement der Grünauer verhindert. Vorstand Bücher erklärt, dass für die Entscheidungen mehrere Argumente in die Waagschale zu werfen sind: »Wir wollen nah sein, müssen aber wirtschaftlich handeln. « Heißt konkret: Teure Filialen zu schließen ist - man stelle den Vergleich zu anderen Banken an - eine ökonomische Notwendigkeit.

Die Wahl des zu schließenden Standorts kann aber von örtlichen Belangen abhängig gemacht werden. Das ist hier geschehen: Obwohl es in der Selliner Straße besser läuft, orientiert sich die Sparkasse an der demographischen Entwicklung. Weil im WK 2 mehr ältere und mobilitätseingeschränkte Leute wohnen und die Forderung nach kurzen Wegen dort berechtigter erscheint, bleibt die Filiale erhalten, auch wenn sie laut Bücher die unrentabelste im Viertel ist. Ein unrentabler Automatenstandort steht dagegen auf der Streichliste: Stuttgarter Allee, südlich des Allee Centers an einer Kaufhalle. Vermissen wird ihn kaum jemand, denn die nächste Chance auf Bares ist nur eine S-Bahn-Überquerung entfernt. Die schlechte Auslastung sei Martin Bücher zufolge auch auf Sicherheitsbedenken zurückzuführen - Geldbeschaffung unweit einer Trinkerstelle ist nicht jedermanns Sache.

Für die betroffenen Bewohner im WK 8 wird es indes kaum ein Trost sein, dass das Verschwinden »ihrer« Sparkasse die erste Schließung einer Grünauer Filiale ist, während sich andere Kreditinstitute gar nicht erst ins Viertel wagen. Thomas Neitemeier bedauert den Rückzug weniger in seiner Funktion als Vermieter, sondern als benachbarter Einzelhändler: »Wie sollen sich die Leute denn mit Bargeld versorgen, das sie für ihre Einkäufe brauchen?« Auch die Stadt Leipzig sieht die Sparkasse als Erfüller öffentlicher Aufgaben in der Pflicht: Der aktuelle Entwicklungsplan sieht vor, funktionierende WK-Zentren zu erhalten - wozu laut Stadtumbaumanager Sebastian Pfeiffer auch die Sparkassen zählen. Allerdings ist Oberbürgermeister Burkhard Jung der Vorsitzende eben jenes Verwaltungsrats, der den Veränderungen in dieser Form zugestimmt hat.

Als Vermieter kann Neitemeier die Entscheidung zur Schließung nachvollziehen: Filialgeschäft sei in Zeiten von Internet immer weniger attraktiv. »Wer sich eine Bank ins Haus holt, muss sich dessen bewusst sein.« Der Vertrag läuft Ende 2011 aus, neue Ideen gibt es noch nicht. Das ist kaum verwunderlich, denn in allen Vorgesprächen sei von einem völligen Rückzug nie die Rede gewesen. Vom Aus der Sparkasse habe er aus der Zeitung erfahren. Das Vorgehen des Mieters sei aber fair: »Ein Jahr vorher Bescheid zu wissen ist eher selten. Mir wird schon was einfallen!« Das Quartiersmanagement (QM) sieht den Neuerungen gelassen entgegen. »Das ist eine wirtschaftliche Entscheidung der Sparkasse, die wir akzeptieren müssen.« Die Zusammenarbeit sei sehr gut, befindet Uwe Kowski, und auch Bürgerbeschwerden im Stadtteilladen seien bislang ausgeblieben.

Trotzdem werde man darauf drängen, dass zumindest die Automaten im WK 8 verbleiben. »Die Sparkasse hat ihr Versprechen eingehalten und rechtzeitig informiert«, sagt Kowski. Besagte Information erfolgte allerdings nach der Schaffung vollendeter Tatsachen und nach Mitteilung an die Presse. Das ist insofern schade, als dass QM und Quartiersrat diesmal jene Beteiligung verwehrt blieb, die vor zwei Jahren das Heranreifen eines Kompromisses zum Filialerhalt Alte Salzstraße überhaupt erst ermöglichte. Dass den Grünauer Lobbyisten während eines Exklusiv-Gesprächs vor vier Monaten mitgeteilt wurde, dass es »aufgrund des guten Kundenzuspruchs« keinen Grund gebe, »über Filialschließungen nachzudenken«, stößt Kowski nicht sauer auf. Nach dem Dementi hatte das QM die Berichterstattung über mögliche Veränderungen im Filialnetz der Sparkassen als »Geschichten aus dem Sommerloch« bezeichnet.

Reinhard Franke
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