Gefährlich nah am Abstellgleis
Allen Protesten zum Trotz wird die »Aussetzung«
der S-Bahn-Linie 1 immer wahrscheinlicher
Es war eine unangenehme Bescherung, die den Grünauern im Dezember zuteil wurde: Da hatte der Zweckverband für den
Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) angekündigt, die S-Bahn-Linie 1 »vorübergehend auszusetzen«
. Kurzfristige
Streichung von Geldern in Millionenhöhe machen sachsenweit Einschnitte unumgänglich, dass es in Leipzig nach LVB-Netzreform
und Sparkassenrückzug erneut die Grünauer treffen soll, ärgert die Betroffenen. Aber nicht alle malen schwarz. Heftige
Kritik contra verständnisvolle Töne - eine Analyse von Reinhard Franke.
Zum Hintergrund
Fünf Zweckverbände organisieren sachsenweit den Nahverkehr auf der Schiene. Für den Großraum Leipzig ist der ZVNL zuständig, welcher S-Bahnen und Regionalzüge bestellt und bezahlt. Jeder gefahrene Zugkilometer kostet laut Verband etwa acht Euro. Daneben gibt es kleinere Rechnungsposten: Bahnhofszugänge und wichtige Überlandbuslinien werden mitfinanziert, weitere Kosten entstehen durch Verwaltung und Projektarbeit.
Die Finanzierung geschieht mit sogenannten Regionalisierungsmitteln, die das Land Sachsen vom Bund erhält und an seine
Zweckverbände durchreicht. »Obwohl die Gelder an den Freistaat sogar steigen, streicht uns dieser nun kurzfristig
fast zehn Millionen Euro«
, klagt Andreas Glowienka, Geschäftsführer des ZVNL.
Dabei sei die Verordnung über die langfristige finanzielle Ausstattung der Zweckverbände nicht einmal zwei Jahre alt.
Glowienka zufolge sei die anderweitige Verwendung der zweckgebundenen Mittel zwar juristisch einwandfrei, jedoch agiere der
Freistaat nun gegen Absprachen: »Für uns bestimmtes Geld wird jetzt für andere Nahverkehrsprojekte ausgegeben -
auch für den Citytunnel. Dafür wollte Sachsen den Tunnel ursprünglich so finanzieren, dass keine Belastungen der
Zweckverbände oder Kommunen entstehen.«
Zur aktuellen Lage
Der ZVNL muss unter extremem Zeitdruck handeln, denn das Geld fehlt bereits mit Jahresbeginn 2011. Auch zur Wahrheit
gehört allerdings: Es handelt sich um einen echten Verlust von »nur«
6,4 Mio. Euro, da schon die alte
Finanzordnung ein Minus von 3,2 Mio. Euro vorsah - wer mit einer höheren Einbuße hausieren geht, erzählt also nicht die
ganze Geschichte. Sachsens Wirtschaftminister Sven Morlok (FDP), dessen Ministerium die 6%-Beschneidung verantwortet, wähnt
Medienberichten zufolge heimliche Reserven bei den Zweckverbänden.
Dazu Glowienka: »Wir bestreiten doch gar nicht, dass es Einsparpotenzial gibt. Doch so kurzfristig können wir
kaum agieren. Wir haben langfristige Verträge mit den Verkehrsunternehmen.«
Trotzdem müsse der Zweckverband nun
an die Verkehrsleistungen ran, hat dazu einen Plan erarbeitet. Die S1 steht an erster Stelle, birgt mit 4 bis 5 Millionen
Euro Glowienka zufolge das größte Kürzungspotenzial. Der ZVNL wagt sich zwar auch an andere Verbindungen heran,
»aber bei der S1 gibt es im Vergleich zu anderen Strecken wenigstens noch die LVB«
. Die Auslastung der
Strecke sei dagegen solide und kein Grund für eine Aussetzung, so Glowienka. Ein Erhalt mit ausgedünntem Takt sei dagegen
wenig sinnvoll.