Noch ist nichts definitiv...
»Aussetzung«
der S-Bahn-Linie S1
Noch ist nichts definitiv. Entschieden wird bei der ZVNL-Verbandsversammlung im Februar. Die Stadt Leipzig hat dort
große Stimmgewalt - aber kommt um eine Selbstgeißelung trotzdem nicht herum. Ausgerechnet der für Grünau angetretene
CDU-Stadtrat Dietmar Kern ist einer von Leipzigs Vertretern in diesem Gremium - und der hält die Entscheidung gegen die S1
für vertretbar, »auch wenn es erst einmal wehtut«
. Jede Kommune müsse innerhalb des ZVNL Opfer
bringen.
Die gute Auslastung der Linie entstehe weniger in Grünau, sagt Kern mit Bezug auf Statistiken, wonach die Nutzung im
Grünauer Streckenabschnitt eher gering sei, wenn man vom Schülerverkehr absehe. Die Pläne absegnen will er jedoch nur unter
der Bedingung, dass die Wiederaufnahme gesichert sei. »Das muss in die Beschlussfassung rein.«
Bis dahin
könne die vorübergehende Aussetzung auch von Vorteil sein, sagen Kern und Glowienka unisono: Es wird an mehreren Stellen
gebaut, neue Bahnhöfe können einfacher entstehen. Ein zuverlässiger Fahrplan sei ohnehin nicht gewährleistet. Kerns
Hoffnung: »Wenn die Zeit bis 2013 für die Modernisierung der Strecke genutzt wird, gehen wir mit Verbesserungen
aus der Sache hinaus. Das wäre sinnvoll.«
Was passiert mit der Inbetriebnahme des Citytunnels?
Die Ausschreibung für das neue S-Bahn-Netz ist schon durch: Die neue S 1 soll von Grünau bis zum Hauptbahnhof, dann
durch den Tunnel über Stötteritz in Leipzigs Osten und weiter bis Wurzen und Oschatz fahren. Betreiber ist mit der
»S-Bahn Mitteldeutschland«
eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bahn. Mit Aufnahme des Tunnels ins
Bahnnetz fließt auch nach der neuen Finanzplanung wieder mehr Geld nach Leipzig. Damit sei die Wiederaufnahme prinzipiell
gesichert, befindet Glowienka. Etwas verschnupft lässt er eine Hintertür offen: »Falls der Freistaat aber nochmals
in ähnlicher Weise eingreift, will ich auch das nicht garantieren.«
Diese Sicht sei jedoch zu pessimistisch,
zumal die beschriebenen Bauarbeiten davon zeugten, dass eine endgültige Schließung nicht beabsichtigt sei.
Wie reagiert Grünau auf die Pläne?
Angesichts der jüngsten Beschneidungen wird die »Aussetzung«
mehrheitlich als Schlag gegen einen
vernachlässigten Stadtteil empfunden. Eine eilig gegründete Bürgerinitiative, hervorgegangen aus Stadtbezirksbeirat und
Quartiersrat, startet Protestaktionen. Andreas Halle, der in beiden Gremien aktiv ist, sagt: »So wird Grünau Stück
für Stück abgekoppelt. Wir bemühen uns um Lebensqualität, aber damit wird sie uns genommen.«
Am Info-Stand im
Allee-Center herrscht rege Begängnis, im Minutentakt unterschreiben Grünauer Bürger für den Erhalt der Verbindung.
»Jetzt bitte noch die Straßenbahn ganz weg, dann bleiben wir gleich daheim. Da ist's ja auch schön!«
,
wettert ein Passant und hinterlässt sein Autogramm. Die Initiatoren liefern einige unvernünftige (»Früher war
alles besser!«
), mehrheitlich aber vernünftige Argumente für ihren Protest: In Stoßzeiten müssten sich Schüler
mehr denn je in ohnehin volle Straßenbahnen drängeln. Außerdem würden Grünauer, die sich aufgrund einst guter Bedingungen
gegen ein Auto entschieden haben, nun gleich doppelt bestraft. Am meisten überzeugt dieser Fakt eines Engagierten:
»Aus den Rückbaugebieten wurden die Grünauer mit dem Argument ins Zentrum gelockt, dass es dort eine S-Bahn-Anbindung
gibt. Und nun?«
Markus Haas, Manager des Allee-Centers, schlägt dagegen moderate Töne an. Zwar sei das Center »auf eine
bestmögliche Verkehrsanbindung angewiesen«
. Haas bezeichnet aber den Anteil der Besucher, die mit der S-Bahn
anreisen, als »verschwindend gering«
. Zudem sei das LVB-Streckennetz am Standort stark ausgebaut und
könne die Aussetzung weitgehend kompensieren. Schlimmer sei dagegen der Imageverlust für ganz Grünau - stabile
Einwohnerzahlen seien schließlich auch für das Allee-Center eine wichtige Größe.
Der Quartiersrat hat kurz nach Bekanntwerden der Pläne mit einem energischen Brief an Ministerpräsidenten Stanislaw
Tillich reagiert. Darin wird die bisherige Verkehrsanbindung als Hauptpotenzial bezeichnet. Die geplanten Maßnahmen
»richten sich direkt gegen die Bürger Grünaus und des Umlandes und können weder kompensiert noch akzeptiert
werden«
, heißt es in dem Schreiben.
Was sagt der Freistaat?
»Grün-As«
erhielt eine knappe, aber deutliche Antwort: Der aktuelle Haushalt 2011/2012 komme ohne
Neuverschuldung aus. »Nahezu alle Bereiche mussten dafür einen Sparbeitrag leisten - so auch der ÖPNV«
,
sagt Martina Pirk, Sprecherin im Wirtschaftsministerium. Kein Wort zum kurzfristig abgedrehten Geldhahn, dafür lapidar:
»Es ist nun Aufgabe der kommunalen Aufgabenträger, den ÖPNV noch effizienter zu gestalten, damit ein leistungsfähiges
ÖPNV-Angebot in Sachsen auf Dauer finanzierbar bleibt.«
Der ZVNL wird sich angesichts des zugespielten
Medizinballs herzlich bedanken. Laut Glowienka habe man sich zuvor massiv, aber eben erfolglos gegen die Kürzungen
eingesetzt.
Das Antwortschreiben des Freistaats an den Quartiersrat ist in weiten Teilen mit der Presseantwort identisch. Unterschrieben hat dort der für Verkehr zuständige Abteilungsleiter Bernd Sablotny. Der zitiert überdies die einzig positive Aussage eines insgesamt klagenden Zeitungsbeitrags, um dessen Anliegen ins Gegenteil zu verkehren. Garniert mit dem Tenor: Schön für die Grünauer, dass sie sich einen Quartiersbus besorgt haben! Dass die Bürgerinitiative da noch etwas ausrichten kann muss angesichts dieser Worte bezweifelt werden.
Gibt es eine Entlastung?
Auch wenn offiziell noch nichts beschlossen ist, verhandeln ZVNL und Verkehrsbetriebe derzeit über kostengünstigen Ersatz. Das ist auch nötig, um im Fall einer Aussetzung schnell einen Plan B parat zu haben. Kommt es dazu, wird die vorerst letzte Bahn wohl zwischen April und Juni fahren, schätzt Glowienka. Die laufenden Gespräche zeigen, wie sicher die Aussetzung bereits ist. Sie beweisen aber auch, dass Entlastungen zumindest ernsthaft vorgesehen sind. Das Problem für die Planer ist dabei, dass es für die Trasse mitten durch Grünau schon aus geographischen Gründen keinen optimalen Ersatz geben kann.
Derzeit, so lässt LVB-Planer Ekkehard Westphal durchblicken, werde geprüft, ob und wie die Buslinie 80 nach Grünau
verlängert werden kann, weil diese »zwischen Lindenau, Leutzsch und Möckern denselben Korridor wie die S-Bahn
bedient«
. Die künftige Sperrung der Luisenbrücke zwischen Lindenau und Grünau erschwert den Plan jedoch. Für Wege
innerhalb Grünaus wird der am 19. März startende Grünolino immer interessanter, zumal dieser nahe jeder S-Bahn-Station hält
(»Grün-As«
berichtete). Dessen Stundentakt ist bei Wegfall der S-Bahn aber zu dürftig, weswegen der ZVNL
in noch nicht näher definierter Weise für finanzielle Entlastung sorgen möchte. Zum Ärgernis dürfte werden, dass bisher
weder LVB noch ZVNL über eine Verlängerung der gekürzten Linien 2 und 8 nachdenken.