Editorial
Liebe Leserinnen und Leser, glauben Sie auch, die Geschichte Grünaus beginnt mit der Grundsteinlegung am 1. Juni 1976? Okay, da gibt es noch die beiden Siedlungen, die Sacksche Villa nebst Park und das Dorf Schönau auf dem heutigen Areal des Stadtteils, aber sonst waren da doch nur Felder und Gärten. Leider ist das ist nicht ganz richtig.
Denn Grünau hat Geschichte und zwar eine, die ins dunkelste deutsche Kapitel hineinreicht und an die bis heute nichts erinnert. Schauplatz ist die idyllisch gelegene Parkallee - einst Lindenallee - zwischen Lützner Straße und S-Bahngleisen. Von Sommer 1944 bis kurz vor Kriegsende war es mit der Idylle allerdings vorbei, als auf den wenigen hundert Metern ein Außenlager des KZ Buchenwald errichtet wurde. Inhaftiert waren ausschließlich Frauen, die in den nahe gelegenen ATG-Werken Zwangsarbeit leisten mussten.
Das sind die spärlichen Informationen, die ich irgendwann vor vier Jahren dem Bändchen »Historisches Grünau«
entnommen habe.
Geschichtlich interessiert und politisch engagiert war ich sofort elektrisiert und Fragen drängten sich auf: Wieso gibt es keinerlei Hinweise auf dieses
Lager Leipzig-Schönau, wie es offiziell genannt wird. Im antifaschistischen Staat DDR wäre es doch ein Muss gewesen, wenigstens eine Erinnerungstafel
anzubringen oder war das etwa nicht gewollt im einstigen Vorzeige-Stadtteil Grünau? So interessant das Thema, so komplex und kompliziert war es auch und zu
meiner Schande muss ich gestehen, dass ich es nicht sehr intensiv weiterverfolgte. Zwar gab es den Kontakt zu einem Grünauer, der bereits in den 80-ern die
Geschichte des Lagers recherchierte. Klaus Hofmann und seiner Gruppe sind Zeitzeugenberichte und Fotodokumente zu verdanken, aber auch sie vermochten es
nicht, eine Stelle des Gedenkens für die einstigen Insassen zu bewirken.
Das wurmt den Rentner noch immer. Und nicht nur ihn. Denn auch wenn das vergessene Lager bei mir in den vergangenen Monaten etwas in den Hintergrund gerückt ist, so hat es mich doch nicht losgelassen. Wie ich unlängst erfahren durfte, geht es aber nicht nur Klaus Hofmann und mir so. Grünauer, die auf ganz unterschiedlichen Wegen von der Existenz des Lagers in der Lindenallee erfuhren, sind bereits tätig geworden. Ideen gab es viele, Anläufe gab es viele - getrieben von dem Wunsch, das Schicksal der jüdischen Zwangs - arbeiterinnen öffentlich zu machen, es nicht zu vergessen. Jeder für sich stieß jedoch schnell an die Grenze des Machbaren.
Wie gut, dass es hartnäckige Menschen wie Martin Malzahn (Mitglied im Quartiersrat und beim Club der Nachdenklichen) und Friedrich Roßner (ehemaliger Grünauer Apotheker und Mitglied beim VVN) gibt. Ohne sie hätte es vielleicht weitere Jahrzehnte gedauert, bis sich die vielen vorhandenen Kräfte bündeln. Ermutigt durch das erst kürzlich initiierte Gedenkzeichen für die aus Leipzig deportierten jüdischen Mitbürger auf dem Hauptbahnhof, fand sich Ende Februar eine fünfzehnköpfige Gruppe zusammen, deren Akteure zwar recht verschieden, aber dennoch geeint im Ziel sind: Die Geschichte zu dokumentieren und im geeigneten Rahmen an sie zu erinnern.
Aus diesem Grund sucht die »IG Grünau hat Geschichte«
zunächst nach weiteren Zeitzeugen, die einen wertvollen Beitrag zur
Aufarbeitung der historischen Ereignisse beitragen können - und sei er auch noch so klein. Da es die Meyerschen Häuser, die beiden Grünauer Siedlungen und
Lausen zu dieser Zeit bereits gab, dürften auch etliche Bewohner von der Existenz des Lagers gewusst haben. Sie können sich bestenfalls per Mail an:
geschichte-gruenau@web.de wenden. Da jedoch eher ältere Menschen aufgefordert sind, stellt »Grün-As«
sowohl seinen Telefonanschluss (03
41 /4 21 0161) als auch die Postanschrift als Kontaktdaten zur Verfügung. Grünau hat Geschichte - eine, die nicht in Vergessenheit geraten sollte.