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Stolpersteine gegen das Vergessen

»Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt.« Bertolt Brechts Zitat setzt der Kölner Bildhauer Gunter Demnig um, indem er vor dem letzten freiwilligen Wohnort der Opfer des NS-Terrors Gedenktafeln, sogenannte Stolpersteine, aus Messing auf dem Fußweg verlegt.

Die Arwed-Rossbach-Schule, Berufliches Schulzentrum der Stadt Leipzig, war maßgeblich an der Ehrung des jüdischen Kaufmanns Paul Isenstein beteiligt. Der erste Kontakt mit dem Sohn Rolf Isenstein, der heute in Schweden lebt, erfolgte im Juni 2012. Ein halbes Jahr später - am 5. November fand nun die Verlegung des Stolpersteines zu Ehren des durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Herrn Isenstein statt.

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Paul Isenstein

Ein Schüler der Jahrgangsstufe 13 der Arwed-Rossbach-Schule bereitete die Biographie und das Schicksal des Vaters sowie des Sohnes auf und gewährleistete ebenfalls die Finanzierung des Stolpersteines. In Anwesenheit des mittlerweile 82 Jahre alten Sohnes und des Enkels, die für diese Ehrung aus Schweden angereist waren, nahm auch die gesamte Jahrgansstufe 13 an der feierlichen Verlegung in der Inselstraße teil.

Im Anschluss berichtete Rolf Isenstein in der Mensa der Schule in einem Zeitzeugengespräch von seinen Erinnerungen und zeigte sich tief bewegt von der Anteilnahme und dem entgegengebrachten Interesse. Paul Heinrich Salomon Isenstein wurde am 18. August1881 als einer von vier Söhnen des jüdischen Teppichgroßhändlers Gustav Isenstein und seiner Frau Franziska in Hannover geboren. Die Familie Isenstein lebte seit dem 17. Jahrhundert in Deutschland. Seine Kindheit und Schulzeit verbrachte er in Hannover. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre arbeitete er zunächst in Braunschweig und anschließend in Berlin für die Commerz- und Privatbank.

Im Ersten Weltkrieg diente Paul Isenstein als Soldat für Deutschland an der Front und bekam für seinen Einsatz das Eiserne Kreuz verliehen. Später siedelte er nach Leipzig um, wo er eine Anstellung als Depositenkassenleiter bei der Commerzbank fand. Am 11. Juni 1929 heiratete er seine Frau Johanna Elsa Maria Isenstein, geb. Schildbach, im Reudnitzer Rathaus. Ein Jahr darauf, am 28. Mai1930, kam ihr Sohn Rolf zur Welt. Die Familie wohnte während der Anstellung des Vaters als Bankdirektor in der Inselstraße 9. Als Paul Isenstein 1935, aufgrund der weiteren Verfolgung seine Anstellung verlor, musste die Familie aus finanziellen Gründen die Wohnung räumen und in die Göschenstraße 4 umziehen. Im Zuge der Reichspogromnacht wurde er am 11. November 1938 als sogenannter »Aktionsjude« von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) verhaftet und dem Polizeipräsidium zugeführt.

Einen Tag darauf wurde Paul Isenstein mit 4682 anderen Personen in das Konzentrationslager Buchenwald interniert. Im Dezember 1938 wurde er entlassen, unter der Bedingung, Schweigen über seine Erlebnisse im KZ zu wahren sowie sein nach dem Ersten Weltkrieg verliehenes Eisernes Kreuz nebst Urkunde zurückzugeben. Während seiner Lagerhaft und auch in Leipzig hatte er Zwangsarbeit verrichten müssen. Alle von ihm geliebten Freizeitbeschäftigungen, wie beispielsweise Rad fahren, Schwimmen, Rudern, Kino- oder Theaterbesuche, wurden ihm untersagt. Am 24. März1943 flüchtete Paul Isenstein im Alter von 61 Jahren vor der permanenten Demütigung und um seine Familie zu schützen in den Freitod.

Torsten Lenz
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