Der »Bäderanzeiger« brachte es auf Seite 1: Ein Kreuzergeschwader werde in Binz anlanden, »...um den Badegästen ein Bild von
der Größe und Treffsicherheit der deutschen Kriegsflotte zu geben.« Mehr als 400 Neugierige drängen sich an diesem 28. Juli 1912 auf der
hölzernen Seebrücke - als diese unter der Menge zusammenbricht.
In unvorstellbarem Chaos werden Rettungsringe geworfen, stochern Beherzte mit Bootshaken nach Ertrinkenden, erstarren Angehörige in maßloser Angst.
Boote werden zu Wasser gelassen, Wiederbelebung versucht, Neugierige entfernt. Stunden später sind von den 100 Personen, die in die See gefallen waren, 17
ertrunken, darunter 7 Kinder.
Sergeant Richard Römer aus Hohenlimburg sprang wiederholt und in voller Uniform in die See und rettet allein 12 Menschenleben. Kaum ein Jahr später, am
19. Oktober 1913, wird im Schatten der Weihe des Völkerschlachtdenkmals, im Leipziger Hotel de Prusse die DLRG gegründet - die Deutsche Lebens-Rettungs-
Gesellschaft. »Grün-As« sprach mit Christian Althaler und André Lehmann - aktive Lebensretter am Kulkwitzer See.
Grün-As 100 stolze Jahre. Da stecken Herzblut, Engagement, Aufbruch und Niederlagen drin, Ehrenamt und Heldentaten. Wie ordnet sich die
DLRG mit der Erfahrung von 100 Jahren in unsere Gesellschaft ein?
Christian Althaler 1913 berichtete »Der Deutsche Schwimmer« davon, dass jährlich 5.000 Menschen in Deutschland ertranken.
100 Jahre später, sind es noch immer zu viele, aber immerhin nur 383. Stolze 66.000 Lebensrettungen kann die DLRG bundesweit in den letzten Jahren
vorweisen. Davon 9.000 unter akuter Lebensgefahr. Jedes dieser bewahrten Menschenleben ist ein Glücksfall, der von den Betroffenen, Freunden und Familien
wie ein zweiter Geburtstag gefeiert wird.
André Lehmann Menschen vor dem Ertrinkungstod zu bewahren - das war und ist die erklärte Aufgabe der DLRG. Über 25 Millionen Menschen haben bei
der DLRG Schwimmen gelernt. 4,5 Millionen Prüfungen zum Rettungsschwimmer wurden von der DLRG abgenommen. Wir sind an den Küsten der Ost- und Nordsee
präsent, bewachen im Auftrag Badespaß in Hallen- und Freibädern. Allein im letzten Jahr waren dafür zwei Millionen Wachstunden zu absolvieren.
Grün-As Leipzig wirbt als Wasserstadt um Touristen. Schwimmhallen werden reihenweise geschlossen. Zu Feierstunden werden schöne Fotos gemacht.
Immer mehr Nichtschwimmer stolpern durch das Land. Kann eine vom Ehrenamt getragene Deutsche Lebens Rettungs-Gesellschaft das stemmen?
André Lehmann In Sachsen ist der Schwimmunterricht noch im Gesetz verankert. Aber viele Schwimmbäder sind in die Jahre gekommen. Statistisch
gibt es die meisten tödlichen Badeunfälle an un bewachten Gewässern, Teichen, Kanälen, Kiesgruben. Angetrunkene kollabieren. Leichtsinnige springen in 20
Zentimeter Wassertiefe. Freizeitsportler überschätzen ihre Kräfte. Wassergewöhnungskurse, Kleinkinderschwimmen und Schwimmkurse, die Ausbildung von
Rettungsschwimmern, viel Aufklärung und Werbung für sichere Badebereiche, sind unsere vorrangigen Aufgaben. Da zählt jedes Mitglied.
DLRG-Poster
Christian Althaler Vielleicht einige Zahlen: Von ehemals 450 Gründungsmitgliedern hat sich die DLRG inzwischen zur weltweit größten
Wasserrettungsorganisation entwickelt. 1,1 Millionen Mitglieder und Förderer sind bundesweit gemeinnützig im Ehrenamt tätig. Die DLRG ist fest in den
Katastrophenschutz integriert und führt Wasserrettungsdienst durch. Neben Wachleitern und Wasserrettern sind Bootsführer im Einsatz und sogar Spezialisten
der Strömungsrettung. Viele Spezialisten der Wasserrettung waren in den Sommermonaten im Hochwassereinsatz.
André Lehmann Wasserrettung setzt stetes Training voraus, körperliche Fitness, technisches Verständnis, Vertrauen zu deinem Nebenmann und
Weiterbildung. Wer das alles auf sich nimmt, wird mit einem starken Team belohnt. Zuverlässigkeit ist da genauso wichtig wie herzhaftes Lachen miteinander.
Das entwickelt soziale Kompetenz und Teamfähigkeit, wirkt sich auf den ganzen Kerl aus. Und dann hängst du auch mal eine Stunde ran. Inzwischen wird das
auch von der Bevölkerung geschätzt. Unsere Arbeit wird anerkannt.
Grün-As Die Grünauer lieben ihren Kulki. Immerhin feiert auch er in diesen Tagen Geburtstag - seinen 40. Was tat / tut sich an, in, unter der
Badewanne der Grünauer in Sachen Wasserrettung?
Christian Althaler Das junge motivierte Team Leipzig-Stadt hat derzeit zirka 200 Mitglieder, der Landesverband Sachsen zirka 3.500. Wir wären
gern an allen Seen präsent. Leider sind wir lediglich für den Kulkwitzer See mit der Durchführung des Wasserrettungsdienstes beauftragt. Dabei wäre es auch
an anderen Gewässern sinnvoll. Der Bagger in Thekla fällt mir da ein. Es ist lange her, dass sich die Stadt dort einen Wasserrettungsdienst leistete.
Leider sind seitdem dort auch Menschen ertrunken. Am Kulki haben wir den 30. Triathlon vergangenen Monat wieder mit gesichert. Im Auftrag des
Zeltplatzbetreibers bewachen wir den Badebereich am Schiff. Sie sehen ja, was wir aus dem alten Rettungsturm gemacht haben. Das ist alles Eigenleistung. 11
bis 18 Uhr ist er besetzt. Zwei Drittel der DLRG-Mitglieder in Sachsen sind jünger als 30 Jahre. Ich denke, hier ist viel Pioniergeist und Begeisterung im
Spiel.
André Lehmann Die jungen Leute sind fachlich gut geschult, körperlich fit und hoch motiviert. An diesem Wochenende sind sogar die Brüder Felix
(17) und Max (13) Kratzer aus Amberg in Bayern angereist, um mit uns zu lernen und den Badebetrieb abzusichern. Aber noch haben wir deutlichen
Nachholbedarf bei der technischen Ausstattung (... Spricht's und dreht sich aus dem Gespräch mit aufmerksamem Blick. Zwei Damen mittleren Alters schwatzen
gemeinsam über eine Schwimmnudel gehängt bedenklich Richtung Seemitte. Das lässt den engagierten Wasserretter auch mitten in unserem Gespräch nicht kalt
...).
Christian Althaler So ein Wasserrettungsturm braucht nicht nur eine nette Fassade mit riesigen weißen Fenstern und schmucke ochsenblutfarbene
Holzplanken, die an die skandinavischen Ferienhäuschen auf dem Zeltplatz erinnern. Flossen, Schnorchel, Funk, eine Küche, Schlaf- und Arbeitsplatz,
Neoprenanzug, Ausrüstung kosten Geld. Das ist vom Team allein nicht zu stemmen. Es braucht auch Förderer, die mit Blick auf die Entwicklung Leipzigs zur
Wasserstadt finanziell einen Teil zur künftigen noch größeren Sicherheit am und im Wasser beitragen. (... Der Zweimetermann entspannt sich, die
beiden Mädels schippern gemütlich zurück ans Ufer. Bei der Aufmerksamkeit kann ich nachher auch noch beruhigt ins Wasser ...)
Grün-As Das Kulki-Team der DLRG soll aus den Erlösen des Entenrennens zum diesjährigen Wasserfest etwa 7.000 Euro für ein neues
Motorrettungsboot bekommen. Wie ordnen Sie das ein?
Christian Althaler Ja, das ist toll! Dass wir vom Verein Wasser-Stadt-Leipzig e.V. ein zweites Mal mit den Erlösen des Entenrennens bedacht
werden, ist ein großes Glück. Wir werden für die Wasserrettungsstation am Kulki ein Motorrettungsboot anschaffen. Und wenn es 7.000 Euro werden, dann haben
wir immerhin schon die Hälfte der Kosten für das Boot zusammen. Das Boot ist wichtig. Selbst wenn ein Rettungsschwimmer in zwei, drei Minuten zu einem
Verunfallten schwimmen kann, ist diese Zeit vielleicht schon zu lang und man kann im Wasser auch nur sichern, nicht wiederbeleben. Das neue Motorboot wird
im Ernstfall Leben retten.