Tagebuchnotizen eines sächsischen Soldaten
Teil 3 - Das Jahr 1813
Zurück in Sachsen wird Johann ganz nah seines Heimatdorfes im Depot des Regimentes in Torgau eingesetzt. Dort hat er auch seine zweite Begegnung mit dem französischen Kaiser, der am 10. Juli die Festungsanlage inspiziert und bei der Gelegenheit auch einige Ehrenlegionskreuze verleiht. Dem lang gedienten Musketier wird diese Auszeichnung allerdings nicht zuteil. Einen Monat später ist der ruhige Dienst wieder vorbei und Johann rückt mit dem 2. Bataillon am 9. August 1813 in Görlitz an, wo sich das 7. Armeecorps unter dem Befehl des französischen Marschalls Reynier sammelt. Von dort geht es weiter in Richtung Berlin.
Bei Wittstock finden erste kleinere Gefechte statt, bevor es am 23. August zu einer großen Schlacht bei Großbeeren kommt. »Wir Sachsen kämpften wahrlich heldenhaft. Manch einen habe ich am Rande
seiner Kräfte noch Großes leisten sehen. Doch mussten wir uns der Übermacht der Preußen geschlagen geben und uns nach Wittenberg zurückziehen.«
Nur wenige Tage später, am 6. September, erleidet das
7. Armeecorps eine erneute Niederlage bei Dennewitz. Große Verluste haben nun auch die Leichten Regimenter zu beklagen: 180 Tote und Verwundete sowie 500 Gefangene.
Für Johann geht es zurück nach Torgau und für die Sachsen wird es zunehmend enger: »Die Preußen, Russen und nun auch Österreicher bedrängen uns immer mehr. Die Stimmung innerhalb der Truppen
gegenüber dem Franzosenkaiser wird zusehends schlechter, bleibt uns doch auch nicht verborgen, wie es unseren Landsleuten geht. Dennoch! Für uns gilt der Eid auf unseren geliebten Landesvater, König Friedrich
August ...«
Dieser hält unerschütterlich zu seinem Verbündeten Napoleon und so bricht das 7. Corps am 9. Oktober erneut auf, zieht an Eilenburg vorbei und überschreitet die Mulde.
In Kültzschau erwartet Johann während einer großen Revue seine letzte Begegnung mit dem Kaiser. So begeistert wie beim ersten Male vor sechs Jahren in Danzig, ist der 30-Jährige nicht mehr: »Kaum
zu glauben, welch Elend ein einzelner Mann über Hunderttausende bringen kann ...«
Es geht weiter über Taucha in die Stellung bei Paunsdorf, wo Johann mit seinen Kameraden am 17. Oktober eintrifft. Zu
dieser Zeit toben rings um Leipzig schon blutige Kämpfe, die als Völkerschlacht in die europäische Geschichte eingehen sollen. In Paunsdorf biwakieren die Sachsen. Es ist nass, kalt und neblig, die
Versorgungslage dramatisch. Die erschöpften Soldaten erhalten ein paar Stückchen Brot. Der allgegenwärtige Mangel, den die Bevölkerung aufgrund der Besatzung rund um die Messestadt schon seit Monaten zu
erdulden hat, setzt nun auch den Kämpfenden zu, schmälert sowohl Kraft als auch Moral.
Leipzig zählt zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 30.000 Einwohner und muss beinah genauso viele Verwundete innerhalb seiner Mauern beherbergen. Vor den Toren haben sich indes 500.000 Soldaten verschiedenster Nationen versammelt - bereit für den finalen Kampf. Während es in Lindenau, Kleinzschocher und vor allem in Wachau, Markkleeberg und Connewitz zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen napoleonischen Truppen und Verbündeten kommt, bemerkt Johann am 18. Oktober eine gewisse Unruhe unter den Offizieren der Infanterie und Artillerie. Gerüchte von einer Trennung von den Franzosen machen die Runde und in der Tat laufen bei Paunsdorf 3.000 bis 4.000 Sachsen über.
»Am Nachmittag ruft man uns zusammen. Wir sollen losmarschieren. Plötzlich stehen wir zwischen den Linien und sind kurz darauf von Kosaken umringt. Da erst merken wir, dass man uns zum Überlaufen
gebracht hat. Was für eine Mischung aus Erleichterung und Scham. Das eigene Leben gerettet - indes den König verraten.«
Diese Worte notiert Johann einige Zeit später in sein Tagebuch und noch immer
ist er sich nicht ganz schlüssig, ob er dankbar sein darf für diesen ungewollten Treuebruch an seinem Landesfürsten und Dienstherren. Während der sächsische König in Leipzig festgesetzt wird und der
geschlagene Napoleon auf der Flucht ist, wird Johanns Regiment nach Connewitz und von dort zurück nach Torgau beordert.
Im folgenden Frühjahr rüsten sich die Truppen für die Verfolgung Napoleons. Johann hingegen vollendet im März 1814 seine 14-jährige Dienstzeit und wird regulär aus dem Militär entlassen. Bevor er zum elterlichen Hof zurückkehrt, erinnert er sich seines Versprechens und macht sich auf den Weg nach Schönau. In Leipzig herrscht noch immer ein unbeschreibliches Chaos. Krankheit, Hunger und Tod haben die Bevölkerung um ein Zehntel dezimiert. Die Stadt wird noch Jahre brauchen, um sich von dieser Katastrophe zu erholen. Johann hält sich nicht in Leipzig auf, sondern setzt seinen Weg Richtung Westen fort. Über den anstehenden Besuch der Familie Günther in Schönau finden sich die letzten Zeilen in seinem Tagebuch:
»Wie schwer mir dieser Gang fällt, kann man kaum ermessen. Doch ich bin es dem Freunde schuldig und überdies ist die Kunde vom Tod des Sohnes allemal besser als quälende Ungewissheit.«
Mit seiner Einschätzung sollte er richtig liegen. Die alten Bauersleute, die ihren einzigen Sohn und Erben in Russland verloren haben, bieten Johann aus Dankbarkeit ihren Hof zur Bewirtschaftung an. Die
Entscheidung fällt dem Kriegsheimkehrer nicht schwer, hat er doch auch Gefallen an der Schwester des toten Freundes gefunden. Maria Johanna und Johann Gottlob übernehmen wenig später als Eheleute den Schönauer
Hof nahe der kleinen Dorfkirche. 1846 stirbt Johann Gottlob Schladitz im Alter von 63 Jahren und hinterlässt fünf Kinder.