Grünau-Planer träumten und litten für »ihr Kind«
Ausstellung im Stadtarchiv ist Anlass zu Diskussion um Stadtbild, Wertigkeit und Identität
Das sind wichtige Dokumente, die vor allem von der Forschung nachgefragt werden. Ja, und so haben wir vor vier Jahren mit der Aufarbeitung der Karten und Pläne begonnen und mittlerweile fast 12.000 Stück in einer Datenbank erfasst. Um die Pläne richtig beschreiben zu können, haben wir parallel zur Bearbeitung eine Zeitzeugenbefragungen durchgeführt, in Akten und anderen Beständen recherchiert und nach Querverweisen gesucht. Immer wieder fielen dabei die Zeichnungen und Skizzen von Hans-Dietrich Wellner auf. Sie veranschaulichten die Konzeptionen und Entwürfe der Stadtplaner besonders anschaulich und ließen sie einprägsam erscheinen.
Leider kam ein Kontakt zu Hans- Dietrich Wellner aufgrund seiner Krankheit nicht mehr zustande. Umso mehr freue ich mich, dass uns seine Familie den Nachlass überließ, der dann nach der Aufarbeitung der Öffentlichkeit und Forschung zur Verfügung steht und die Unterlagen, die wir aus der Verwaltung übernommen haben, bereichert und hervorragend ergänzt.
Sie alle rangen gemeinschaftlich um bestmögliche Lösungen, bearbeiteten komplexe Aufgaben interdisziplinär. Architekten, Verkehrs- und Grünflächenplaner, Techniker, Ingenieure und Ökonomen wirkten eng zusammen, waren bemüht, ihre zukunftsweisenden, teils kühnen Visionen mit den tatsächlichen Gegebenheiten der sozialistischen Planwirtschaft in Übereinstimmung zu bringen.
1973 begann man mit der Gesamtplanung und schrieb dazu einen Wettbewerb aus, an dem sich auch Hans-Dietrich Wellner beteiligte. Der Standort lag klimatisch und lufthygienisch günstig und versprach eine gute Weg-Zeit-Beziehung zum Stadtzentrum, zu den Erholungsgebieten und vor allem zu den Arbeitsstätten, die sich ja vor allem im Westen der Stadt befanden. Eine große Aufgabe, denn man sah die Bebauung einer Fläche von zirka 400 Hektar vor. Etappenweise sollte ein Wohngebiet von 37.000 Wohneinheiten für fast 100.000 Menschen entstehen.
Im eigentlichen Sinne war es kein Wohngebiet, sondern eine selbstständige Großstadt. Das Bauareal umfasste beiderseits der Lützner Straße zwischen Lindenau und Kulkwitzer See eine Fläche von zirka 4 Kilometer in Ost-West-Richtung und zirka 2,5 Kilometer in Nord-Süd-Richtung. Neben dem Verkehrsnetz (S-Bahn, Straßenbahn, Bus- und Radnetze) waren Einkaufszentren, öffentliche Einrichtungen, kulturelle und sportliche Freizeitmöglichkeiten und Ruhezonen zu planen.
Später dann wurde immer wieder in die Planungen eingegriffen, wurden Schwerpunkte anders gesetzt. Die Zahl der zu bauenden Wohnungseinheiten wurde stetig erhöht oder die Bebauung immer mehr verdichtet, Wohnungsfolgeeinrichtungen wurden reduziert.
Der Wettbewerb zur Errichtung eines Rathauses fand zwar 1988 statt, wurde aber nicht mehr umgesetzt. Alle befragten Zeitzeugen berichteten von der Herausforderung, der sie sich mit Begeisterung und Elan stellten, aber auch von Dingen, die sie so eigentlich ganz und gar nicht wollten.
Die Ausstellung im Stadtarchiv Leipzig, Torgauer Straße 74, im 3. OG ist noch bis zum 26. März zu sehen. Geöffnet Montag und Mittwoch 9 bis 15 Uhr, Dienstag und Donnerstag 10 bis 18 Uhr – Eintritt frei.
Das Gespräch mit Frau Dr. Anett Müller, Stadtarchiv Leipzig, führte Silke Heinig