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Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Grünau-Planer träumten und litten für »ihr Kind«

Ausstellung im Stadtarchiv ist Anlass zu Diskussion um Stadtbild, Wertigkeit und Identität

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Frau Dr. Müller, Sie haben im Stadtarchiv gerade einen ganz besonderen Schatz gehoben. Wie kam es zu dieser besonderen Zusammenarbeit mit der Familie Wellner?
Dr. Anett Müller
Wir als Stadtarchiv sind zuständig für das Schriftgut der städtischen Ämter, Einrichtungen und Mehrheitsbeteiligungen der Stadt Leipzig und sichern die archivwürdigen Unterlagen für die Nachwelt. Allein aus dem Büro des Chefarchitekten haben wir einen umfangreichen Bestand – Akten, Pläne und Fotos – übernommen.

Das sind wichtige Dokumente, die vor allem von der Forschung nachgefragt werden. Ja, und so haben wir vor vier Jahren mit der Aufarbeitung der Karten und Pläne begonnen und mittlerweile fast 12.000 Stück in einer Datenbank erfasst. Um die Pläne richtig beschreiben zu können, haben wir parallel zur Bearbeitung eine Zeitzeugenbefragungen durchgeführt, in Akten und anderen Beständen recherchiert und nach Querverweisen gesucht. Immer wieder fielen dabei die Zeichnungen und Skizzen von Hans-Dietrich Wellner auf. Sie veranschaulichten die Konzeptionen und Entwürfe der Stadtplaner besonders anschaulich und ließen sie einprägsam erscheinen.

Leider kam ein Kontakt zu Hans- Dietrich Wellner aufgrund seiner Krankheit nicht mehr zustande. Umso mehr freue ich mich, dass uns seine Familie den Nachlass überließ, der dann nach der Aufarbeitung der Öffentlichkeit und Forschung zur Verfügung steht und die Unterlagen, die wir aus der Verwaltung übernommen haben, bereichert und hervorragend ergänzt.
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In welchen gesellschaftlichen Kontext ordnen Sie sein Schaffen ein?
Dr. Anett Müller
Hans-Dietrich Wellner, der ab 1968 im Büro des Chefarchitekten der Stadt Leipzig und später im Stadtplanungsamt tätig war, steht für eine ganze Generation von Architekten und Stadtplanern. Sie hatten ihre Ausbildung in den 1950er und 60er Jahren an der Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar absolviert und prägten die Architektur der DDR bis zum Herbst 1989. Ihnen war die Gestaltung einer modernen, für die Bewohner lebenswerten Stadt wichtig.
Sie alle rangen gemeinschaftlich um bestmögliche Lösungen, bearbeiteten komplexe Aufgaben interdisziplinär. Architekten, Verkehrs- und Grünflächenplaner, Techniker, Ingenieure und Ökonomen wirkten eng zusammen, waren bemüht, ihre zukunftsweisenden, teils kühnen Visionen mit den tatsächlichen Gegebenheiten der sozialistischen Planwirtschaft in Übereinstimmung zu bringen.
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Skizzieren Sie doch bitte für unsere Leser einige Leipziger Orte, die deutlich die Handschrift Hans-Dietrich Wellners tragen.
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Dr. Anett Müller
Dr. Anett Müller
In erster Linie ist da der Sachsenplatz zu nennen, der nach seinen Entwürfen umgesetzt wurde. Viele von uns kennen ihn noch. Dann hat Wellner lange Jahre an den Standortuntersuchungen zum Auditorium maximum/Gewandhaus mitgearbeitet, war für das Wohngebiet Schönefeld verantwortlich und hat sich an Wettbewerben beteiligt, so zum Karl-LiebknechtPlatz/Bayrischer Platz. Ja, und Grünau nicht zu vergessen. Es waren bauintensive Jahre, in denen sich das Stadtbild sehr veränderte. Mit der Einrichtung der Abteilung Komplexer Wohnungsneubau kam auf das Architektenteam eine politisch ambitionierte, städtebauliche Herkulesaufgabe zu. [Erst die Aufgabe und dann die Struktur.]
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Mit dem VIII. Parteitag der SED wurde dann alles ganz anders?
Dr. Anett Müller
Ja, auf diesem beschloss die SED »die Lösung der Wohnungsfrage als Kernstück des sozialpolitischen Programms« bis 1990. Jeder Haushalt sollte bis dahin über seine eigene, angemessene Wohnung verfügen, in gutem baulichen Zustand und in ihrer Ausstattung modernen Ansprüchen genügend. Das konnte man nur über den Neubau auf der grünen Wiese und in industrieller Bauweise realisieren. So entstanden die Wohnkomplexe in Schönefeld, Lößnig, Mockau Ost und West. Grünau sollte in Leipzig das größte Wohngebiet werden.

1973 begann man mit der Gesamtplanung und schrieb dazu einen Wettbewerb aus, an dem sich auch Hans-Dietrich Wellner beteiligte. Der Standort lag klimatisch und lufthygienisch günstig und versprach eine gute Weg-Zeit-Beziehung zum Stadtzentrum, zu den Erholungsgebieten und vor allem zu den Arbeitsstätten, die sich ja vor allem im Westen der Stadt befanden. Eine große Aufgabe, denn man sah die Bebauung einer Fläche von zirka 400 Hektar vor. Etappenweise sollte ein Wohngebiet von 37.000 Wohneinheiten für fast 100.000 Menschen entstehen.

Im eigentlichen Sinne war es kein Wohngebiet, sondern eine selbstständige Großstadt. Das Bauareal umfasste beiderseits der Lützner Straße zwischen Lindenau und Kulkwitzer See eine Fläche von zirka 4 Kilometer in Ost-West-Richtung und zirka 2,5 Kilometer in Nord-Süd-Richtung. Neben dem Verkehrsnetz (S-Bahn, Straßenbahn, Bus- und Radnetze) waren Einkaufszentren, öffentliche Einrichtungen, kulturelle und sportliche Freizeitmöglichkeiten und Ruhezonen zu planen.
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Doch so ganz unschuldig und nach Wunsch wird es aber nicht gegangen sein...
Dr. Anett Müller
Zunächst gab es ja kaum Vergleichbares. Es gab keine Erfahrungen mit der Größe solcher Wohngebiete. Man orientierte sich an Bauvorhaben in Berlin, sah sich in der Slowakei um, »schielte« auch ein wenig nach dem Westen, auch Halle-Neustadt war wichtig. Die Mitarbeiter der Abteilung Komplexer Wohnungsbau waren also gezwungen, etwas ganz Eigenes zu entwickeln. Wie sehr sie sich damit identifizierten, zeigt auch, dass sie Grünau immer als »ihr« Kind bezeichneten. Sie bestimmten und begleiteten das Werden und Wachsen des Wohngebietes ganz intensiv.

Später dann wurde immer wieder in die Planungen eingegriffen, wurden Schwerpunkte anders gesetzt. Die Zahl der zu bauenden Wohnungseinheiten wurde stetig erhöht oder die Bebauung immer mehr verdichtet, Wohnungsfolgeeinrichtungen wurden reduziert.

Der Wettbewerb zur Errichtung eines Rathauses fand zwar 1988 statt, wurde aber nicht mehr umgesetzt. Alle befragten Zeitzeugen berichteten von der Herausforderung, der sie sich mit Begeisterung und Elan stellten, aber auch von Dingen, die sie so eigentlich ganz und gar nicht wollten.

Die Ausstellung im Stadtarchiv Leipzig, Torgauer Straße 74, im 3. OG ist noch bis zum 26. März zu sehen. Geöffnet Montag und Mittwoch 9 bis 15 Uhr, Dienstag und Donnerstag 10 bis 18 Uhr – Eintritt frei.

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