Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Editorial

Post

Liebe Leserinnen und Leser, ich würde lügen, wenn ich behauptete, dass ich nicht gerne Post bekäme. Na gut: Ämterschreiben und Rechnungen lasse ich gern mal ein paar Tage rumliegen bevor ich die Muse habe, sie zu öffnen. Aber gegen eine schöne Ansichtskarte aus fernen Teilen dieser Welt ist doch nichts einzuwenden.

Neulich, da flatterte uns ein Brief aus der Lausitz ins Haus. Wie war die Freude doch groß, als wir erkannten, dass es die Antwort auf die luftigen Ballongrüße des Söhnchens war. Losgeschickt zum diesjährigen Parkfest mit den ersten krakelligen, aber erkennbaren Worten des Neu-Zweitklässlers, trug sie der recht heftige Wind ins beinah 200 Kilometer entfernte Beiersdorf im Spreewald.

Als Kind hatte ich etliche solche Grüße verschickt und nie eine Antwort erhalten. Entsprechend dämpfte ich die Erwartungen des Filius. Die schnelle Reaktion der Finder und die sehr lieben Zeilen haben mich so begeistert, dass ich Jeden an meiner kindlichen Freude teilhaben lassen wollte – ob diese nun wollten oder nicht. Erstaunt stellte ich fest, dass es auch in der heutigen Zeit, in der kaum noch jemand Briefe schreibt – also ich meine richtige Briefe, die man anfassen, glatt streichen, zerknüllen oder an denen man riechen kann – durchaus noch viele Menschen gibt, die gerne mal einen am Luftballon befestigten oder in eine Flasche gestopften Zettel auf eine unbekannte Reise schicken.

Im Übrigen habe ich nach meinen vergeblichen Kontaktaufnahmeversuchen in der Kindheit, gefundene Briefe stets beantwortet. Zugegeben: Es waren nur zwei. Aber in Erinnerung meiner eigenen Enttäuschung war das für mich ein Muss. Eigentlich verrückt, wenn man gar nicht weiß, wem man da Grüße schickt. Vielleicht sind es ja sogar Leute, mit denen man um nichts auf der Welt was zu tun haben möchte. Wahrscheinlich ist genau das das Faszinierende an der anonymen Korrespondenz: Sie ist völlig vorurteilsfrei, bar jeder visuellen Beeinflussung.

Apropos anonym: Es gibt auch doofe anonyme Post. Als Journalist bekommt man die des Öfteren heutzutage. Warum die Verfasser dieser Schreiben nicht mit ihrem Namen für die teilweise durchaus berechtigte Kritik einstehen können, erschließt sich mir nicht. Es erinnert mich an die Geschichte eines Pärchens, das einen Tisch im Restaurant stets unter falschem Namen reservierte – für den Fall, sie würden sich doch noch anders entscheiden. Dachten sie, das nächste Mal in diesem Lokal nicht mehr bedient zu werden? Und wovor haben namenlose Briefeschreiber wohl so große Angst? Okay: Droher und Hetzer können rechtlich belangt werden. Pöbler outen sich allenfalls als ungesittete Zeitgenossen. Nachvollziehbar, dass sie ihren Namen lieber nicht preisgeben möchten.

Anonymität kann allerdings wie im Fall des Reservierungspärchens auch ins Absurde abdriften. Nämlich dann, wenn man rein gar nichts befürchten muss. So wie die oder der fleißige Leserbriefschreiber, welche(r) sich selbst Grünauer Befreiungsbewegung (GB) nennt. Zwar prangert GB die in ihren Augen unvollständige Berichterstattung zum Wahlergebnis in der »Lückenpresse Grün-As« mit zum Teil drastischen Worten an und kritisiert sehr scharf die Zustände in Grünau, wie in der gesamten Republik. Aber ganz ehrlich: Das hätte man auch unterschreiben können und dann hätte ich dezidiert geantwortet. So aber ignoriere ich geflissentlich die Aufforderung einer Kontaktaufnahme via Inserat in unserer Zeitschrift. Dr. Sorge funkt morgen wieder aus Tokyo, Ich verschicke lieber Luftballons.

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