Wie holen wir uns die Platte zurück?
18. Oktober, 19 Uhr, Völkerfreundschaft: Vortrag und Diskussion
Die Grünauer kennen das. Im Gespräch mit neuen oder auch alten Bekannten fällt beiläufig die Frage, wo man denn so wohnt und wenn sie dann »in Grünau« antworten, sind die Reaktionen nicht selten ungläubig, entsetzt oder gar abfällig. Grünau ist für viele Rest-Städter ein regelrechter Un-Ort. Diese Geringschätzung der eigenen Lebensentwürfe und ja, oft auch -möglichkeiten, ist nicht neu und sie schmerzt. Seit der politischen Wende vor nunmehr beinah 30 Jahren erfahren die Bewohner von Plattenbaugebieten – oder schöner ausgedrückt Großwohnsiedlungen – im gesamten Osten Deutschlands eine Abwertung ihres Wohnumfeldes, in dem sie sich eigentlich immer ganz wohl gefühlt haben.
Es wirkt wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, wenn ein geschmähter Stadtteil sich im Laufe der Jahre tatsächlich negativ entwickelt. Verunsicherte Menschen, die es sich leisten können, verlassen die Gegend. Die Bewohnerstruktur verändert, entmischt sich. Kaufkraft geht verloren, Geschäfte und Restaurants schließen. Viele, die bleiben, schieben Frust. Wenn dann noch wie im Falle Grünaus, durch explosionsartige Zuzüge nach Leipzig mit der einhergehenden Gentrifizierung, all die Verdrängten aus anderen Stadtteilen in dieses Quartier streben, inklusive der vielen Geflüchteten, bricht sich dieser Frust auch gerne mal Bahn.
Die Ergebnisse der AfD zur letzten Bundestagswahl können als Beleg hierfür gedeutet werden. Im Durchschnitt holte die Partei im gesamten Grünauer Gebiet satte 27,4 Prozent und sticht damit aus dem Leipziger Wahlkreis Süd deutlich heraus, in dem der linke Politiker Sören Pellmann das Direktmandat für den Bundestag gewann. Irritierend ist diese Zahl vor allem im Hinblick auf die realen Angebote und Antworten, die die AfD ihren Wählern gibt: Nämlich gar keine. DIE LINKE, die im Stadtteil stets gute bis sehr gute Wahlergebnisse einfuhr und sich auf eine breite Basis stützen konnte, sieht diese nun zerbröseln. Konzepte und Strategien sind gefragt, wie sie ihre Politik an Frau und Mann bringen kann.
»Es ist zum Verrücktwerden«, konstatiert die Rosa-Luxemburg-Stiftung im Einladungstext ihrem Diskussionsabend im Oktober. »Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer, die Leute immer unzufriedener und trotzdem kommt keiner zu linken Veranstaltungen in Grünau.« Im Rahmen von »Rosa L. in Grünau« wird es um die Frage gehen, wie man die Platte für sich zurückerobern kann. Neben dem Kommunal- und Bundespolitiker Sören Pellmann hat sich die Stiftung den Politikwissenschaftler Robert Maruschke dazu eingeladen. Maruschke beschäftigt sich seit über zehn Jahren erst aktivistisch und später wissenschaftlich mit dem Thema »Basisorganisierung« und wird den Abend mit einem Vortrag einleiten, in dem er erfolgversprechende erste Schritte aus anderen (ostdeutschen) Städten beschreibt. Anschließend darf nach Herzenslust diskutiert werden. Alle Grünauer und nicht nur linke, sind herzlich eingeladen, sich daran zu beteiligen. Dasein kostet kein Geld.
Klaudia Naceur