Miltitz - ein boomender Industriestandort
Aromahersteller Bell Flavors & Fragrances einer der wichtigsten Arbeitgeber
Mit der Eingemeindung von Miltitz hat Leipzig einen kleinen aber, in den letzten Jahren sehr erfolgreichen Industriestandort dazu gewonnen. Bezogen auf die Einwohner gibt es in Miltitz drei mal so viele Industriearbeitsplätze wie im Leipziger Durchschnitt. Der wichtigste davon ist die heutige Bell Flavors and Fragrances Duft und Aroma GmbH, wie sie nach ihrem neuen Eigentümer heißt.
Gegründet wurde das Unternehmen 1829 von den Leipziger Apothekern Spahn und Büttner. Sie begannen ätherische Öle und andere pflanzliche Inhaltsstoffe in einem kleinen Betrieb, der dort stand, wo sich heute die Westhalle des Hauptbahnhofes befindet, in größerem Umfang zu gewinnen, als das in der Apotheke möglich war. Seit 1854 firmierte das Unternehmen unter Schimmel & Co.. Bald wurden in der Leipziger Umgebung viele der benötigten Pflanzen angebaut und Miltitz war in ein Meer von Rosenfeldern eingebettet.
Der Miltitzer Gasthof Rosensäle erinnert noch heute an diese Zeit. Um die Jahrhundertwende wurde es nach mehreren Umzügen in Leipzig endgültig zu eng. Das Unternehmen zog nach Miltitz, genauer nach Kleinmiltitz. Dort besaß es bereits Gebäude und Grundstücke im Zusammenhang mit dem Anbau der Ausgangspflanzen. Auch das in größerem Umfang benötigte Wasser gab es reichlich. Mit der Ansiedlung griff das Unternehmen unbeabsichtigt in den Dauerstreit mit dem ungeliebten Nachbarn Großmiltitz ein. Der wirtschaftliche Schwerpunkt verlagerte sich nun auf die andere Seite des Zschampert.
Schimmel, das war in Miltitz und Umgebung ein fester Begriff für die chemische Fabrik, in der 1989 ca. 800 Menschen Arbeit fanden. Seit den 70er Jahren war der Miltitzer Betrieb Stammbetrieb eines Kombinates, zu dem fast alle kosmetischen Betriebe der DDR gehörten. Der Betrieb machte aber nicht nur als wichtiger Arbeitgeber auf sich aufmerksam, sondern auch als Quelle bisweilen höchst unangenehmer Gerüche. Davon wissen die Urgrünauer, ein langes Klagelied zu singen.
Obwohl es bereits 1990 Kaufinteressanten gab, darunter auch den heutigen Eigentümer, ein amerikanisches weltweit operierendes Unternehmen mit Stammsitz in Chicago, zog sich die Privatisierung hin. Erst Mitte 1993 erfolgte die Übernahme durch die Amerikaner.
Es erfolgte der rasche Ausbau von bereits Ende der 80er Jahre von der DDR begonnenen Neubauten. Als Mitte der 90er Jahre die Produktion wieder voll aufgenommen wurde, waren bei Bell Flavors and Fragrances noch 75 Mitarbeiter beschäftigt. Seitdem geht es kontinuierlich aufwärts. Heute finden wieder 120 Menschen im Miltitzer Betrieb Arbeit. Dabei kamen dem Unternehmen die weltweiten Wirtschaftsverbindungen und Marketingerfahrungen der Amerikaner ebenso zu gute wie ein Stamm von engagierten, erfahrenen Mitarbeitern.
Geholfen hat dem Unternehmen aber auch das wachsende Mißtrauen der Verbraucher gegenüber der harten Synthesechemie. Miltitz produziert noch immer wie seit über hundert Jahren Riech- und Aromastoffe aus Pflanzen. Ein großer Teil wird exportiert. Aber auch Florena Waldheim gehört wie Maggi, kleineren regionalen Likörfabriken und anderen regionalen Betrieben zu den Abnehmern. Neuerdings werden auch Lichtschutzwirkstoffe aus Pflanzen produziert.
Oft ist es dabei so, dass der Auftraggeber nur eine vage Vorstellung davon hat, welche Düfte oder Aromen er sucht. In der Regel beginnt ein Auftrag daher damit, in den firmeneigenen Labors neue Mischungen zu kreieren bis Nase oder Gaumen der Besteller signalisieren, das ist es.
Es versteht sich fast von selbst, dass ein Unternehmen, das auch vom wachsenden Umwelt- und Gesundheitsbewußtsein der Verbraucher profitiert, sich vorbildlich für den Umweltschutz engagiert. Das Wasser, das heute aus dem Unternehmen in den Zschampert gelangt, ist von versiegelten Flächen aufgefangenes sauberes Regenwasser. Alle Abwässer gehen in die Kläranlage Rosental. Auch die Gerüche um das Werk haben sich drastisch vermindert. Ein leitender Mitarbeiter, der die entsprechende Technik betreut, bat mich, ihn zu informieren, wenn es bei uns riecht.
Ich wohne etwa 500 m von den Produktionsanlagen entfernt. Auch wenn es um das Unternehmen schon noch dezent nach diversen Duftstoffen riecht, bis zu uns ist noch nichts vorgedrungen. Ich konnte also bisher nichts meiden. Beeindruckend ist für mich auch das Engagement vieler Mitarbeiter des Betriebes in den verschiedenen Leipziger Arbeitskreisen, die sich für eine umweltfreundliche Produktion engagieren. Ebenfalls imponierend ist, dass das Unternehmen sehr entgegenkommend auf Anfragen reagiert, die Anlagen zu besichtigen. So sind regelmäßig Grünauer Schulklassen im Betrieb, aber auch Kurse vom sich beruflich neu orientierenden Arbeitslosen oder auch einer Gruppe Leipziger Grüner wurden von den Mitarbeitern mit sehr viel Engagement die Anlagen vorgestellt.
Zurecht stolz sind die Mitarbeiter von Bell Flavors and Frangrances auf ihre Bibliothek. Schon der Gründer hatte eigene Forschungen durchgeführt und dazu auch Fachliteratur angeschafft. Im Laufe der Zeit kam so ein sehr wertvolles Archiv zusammen. Ähnliches gab es auch in anderen Leipziger Unternehmen. Während aber anderenorts die historischen Bestände nach dem Ende der DDR in einer Art Mischung aus Bildersturm und Zukunftsbesoffenheit untergingen, setzte sich der neue amerikanische Geschäftsführer R. Heinz beeindruckend energisch für die Pflege der Firmengeschichte ein. Vieles Erinnungswürdige wurde aus den alten Gebäuden gerettet. Die Bibliothek im neuen Gebäude ist ein wahres Kleinod geworden. Wenigstens einen kleinen Teil diesen Engagements, auch finanziellen, das hier der amerikanische Geschäftsführer für die Pflege deutscher Wirtschaftsgeschichte eingesetzt hat, wünschte ich mir von unseren Landsleuten in ähnlicher Position.
Aus diesem Geschichtsbezug hat sich leider durch die Nachlässigkeit des alten Gemeinderates ein ärgerlicher Konflikt entwickelt. Ursprünglich sollte neben dem Betrieb ein Gewerbegebiet entstehen und die Straße im Gewerbegebiet den Namen Schimmelstraße erhalten. Als diese Pläne bekannt wurden, sicherte sich das Unternehmen von der alten Bürgermeisterin schriftlich die Adresse Schimmelstraße 1 und gibt das seitdem als Adresse an, obwohl die Schimmelstraße nicht gebaut wurde. In der letzten Gemeinderatssitzung vor der Eingemeindung wurden einige Straßen umbenannt, so wurde aus der Miltitzer Parkstraße nun die Schimmelstraße. Die liegt nun am anderen Ende des alten Firmengeländes.
Dort hat der alte Geschäftsführer ein neues Unternehmen gegründet, das ebenfalls Duft- und Aromastoffe herstellt, allerdings auf der Basis harter Synthesen. Immerhin 40 Mitarbeiter sind damit beschäftigt. Da beide Firmen ähnliche Namen haben, kam es schon in der Vergangenheit ständig zu Verwechslungen. Das ist vor allem für Bell Flavors & Frangrances geschäftsschädigend: Firmengeheimnisse geraten durch fehlgeleitete Post zur Konkurrenz und verwirrte Kunden, die nicht ganz sicher sind wirklich pflanzliche Produkte zu erhalten könnten sich neue Lieferanten suchen.
Nun hat der Betrieb, der durch harte chemische Synthesen »künstliche«
Duft- und Aromastoffe
herstellt, durch die Schluderei des Gemeinderates auch noch die Adresse Schimmelstraße 1. Bell
Flavors & Fragrances hat dagegen Rechtsmittel eingelegt, und es bleibt nun zu hoffen, dass
die Leipziger Stadtverwaltung hier schnellstens die unbedachte Umbenennung revidiert. Erwähnen
möchte ich auch noch, dass der Betrieb eine sehr moderne Arbeitsorganisation hat und auch hier
aufgeschlossen die internationale Entwicklung verfolgt. Vieles, was das experimentierfreudige
Management hier entwickelt hat, setzt Maßstäbe auch für andere Leipziger Unternehmen. Das ist
eine nicht zu unterschätzende Quelle des Firmenerfolges.
Wir hätten heute in Leipzig 1/3 weniger Arbeitslose, wenn alle Leipziger lndustriebetriebe
ihr Personal bezogen auf den Stand von 1995 so ausgebaut hätten, wie dieser Miltitzer Betrieb.
Am 21. Oktober führt die Friedrich-Ebert-Stiftung ein Podiumsgespräch zum Thema »Ökologischer
Umbau der Wirtschaft - Chancen für die Region Leipzig?«
durch. Dazu ist auch die Miltitzer
Firma Bell Flavors & Fragrances eingeladen. Dort besteht die Möglichkeit sich weiter über
umweltbewußt arbeitende Unternehmen und ihre Entwicklungspotentiale zu informieren und selbst
Kontakte zu knüpfen. (Beginn: voraussichtlich 18 Uhr, Ort: Burgplatz 3).