…und täglich grüßt das Bilsenkraut
Premiere im THEATRIUM
Mitten unter uns leben fremde Leute aus fremden Landen: Emigranten, Asylsuchende, Leute wie
du und ich, nur eben von woanders: von »DA«
. Sie leben friedlich und unbescholten, sind mal
fröhlich und auch mal traurig. Das sollte an sich nichts besonderes sein. Was aber, wenn
plötzlich öffentlich in Funk und Fernsehen behauptet würde, diese Leute führten prinzipiell
gegen uns Böses im Schilde, wöllten uns manipulieren, von sich abhängig machen, »unterwandern«
,
und es sei unsere rechtsstaatliche Pflicht, jeden von ihnen anzuzeigen? Ich wette,
Denunziation, Verrat oder gar Lynchjustiz wären wieder die Haupteigenschaften unseres
Moralverhaltens in »gut nachbarlichen Beziehungen«
. Kommt Ihnen das nicht irgendwie bekannt
vor?
So ungefähr der sozialpolitische Kontext von Günther Jankowiaks »Bilsenkraut«
, einer
theatralischen Verführung für Menschen ab 10 Jahre, die Anfang Oktober im Grünauer THEATRIUM in
der Regie von Marco Süß umjubelte Premiere hatte: Der Obdachlose Ludoff (Günther Keilhauer)
trifft die Emigrantin Abodee (Karina Esche) und ihr Bilsenkrautbäumchen Hornitzer, die letzte
Erinnerung an ihren auf der Flucht gestorbenen Freund. Abodee ist nett und hat auch was gegen
Ludoffs Hunger: Zimtplätzchen, Äpfel und Tee und Fernsehen mit dem beliebten Moderator Bubi
Buschmann (Nico Bobrzik), der so gerne die Leute schockiert und ihren "gesunden
Menschenverstand" testet: Kennt nicht jemand jemanden von »DA«
, bei dem zu Hause ein mickriges
Bilsenbäumchen steht und dessen Plätzchen und Tee nach Zimt schmeckt? Vorsicht! Bilsenkraut!
Drogengefahr! Sofort anzeigen! Ludoff fällt promt auf diese Provokation herein, und den
traurigen Rest kann man sich denken … oder noch besser sich im THEATRIUM anschauen.
Marco Süß benutzt für die szenische Draufsicht auf die brisante Geschichte als Rahmen die
erzählende Vergangenheit mittels lebensgroßer Puppen-Double für die Hauptfiguren (Puppenbau:
Lutz Fleischhauer), ähnlich wie »Der kleine Prinz«
. Sensibel geführt, witzig und explosiv
in spannenden Tempowechseln angelegt, die Rollen warmherzig sympathisiert, steuert die
Geschichte nach- und mitfühlbar ihrem tragischen Ende zu.
Lach- und Kribbelgefahr!
Hervorragend eingestellte Schauspieler mit spielerischen
Glanznummern (z.B. der Break-Step- Dance von Nico Bobrzik), das sparsam-sinnliche Bühnenbau-
Licht-Ton-Gebilde (Schneider-Seifried- Stolle), gebrochen von den Brachialklamotten eines
Gerhard Roch, und vor allem die (fast) alle Register ziehende szenische Einrichtung vom Marco
Süß vollbrachten (wieder mal!) ein theatralisches Highlight im THEATRIUM. Prädikat: besonders
sehenswert!