Zuckertüten und Eselsbrücken
Liebe Leserinnen und Leser, ich weiß ja nicht, ob bei Ihnen in diesem Monat ein großes Ereignis ins Haus steht, ich jedenfalls freue mich auf den 27. August. Nicht allein wegen dem Parkfest, wie Sie jetzt vielleicht vermuten könnten. Sondern ich freue mich auf den großen Auftritt eines kleinen Mannes, der an diesem Tag das erste Mal sein Ränzlein schnüren und ordentlich herausgeputzt, mit einer gelben Mütze und großen Augen den Weg zur Schule antreten wird. So wie mein Neffe Pascal werden wieder viele Mädchen und Jungen diesem Tag entgegenfiebern, der nicht nur eine prall gefüllte Zuckertüte, feuchte Augen und Küsse von gerührten Verwandten sowie gute Ratschläge für die bevorstehende Schulzeit bedeutet.
Viele meinen, mit der Einschulung würde der so genannte Ernst des Lebens beginnen und damit haben sie recht. Obwohl... die Rechtschreibreform, die nach der Einführung am 1. Januar 2000 nun zum 1. August verbindlich ist, wenn sie denn nicht wieder und wieder reformiert werden würde, ist schon eine echte Lachnummer. Lachen können allerdings nur diejenigen darüber, die diesen (im Übrigen über eine Milliarde Euro kostenden) verzapften Unsinn nicht ausbaden müssen.
Erinnern wir uns doch einmal an unsere eigenen ersten Versuche, das Alphabet zu lernen. Das war eigentlich schon schwer
genug. Aber wie bitteschön soll man den Kleinen erklären, dass das, was sie sich gerade mühsam eingetrichtert haben,
vielleicht schon bald nicht mehr gilt? Einfach die stark umstrittene neue deutsche Rechtschreibung verweigern, wie es die
(Vorbild-)Erwachsenen von »Bild«
, »FAZ«
oder »Spiegel«
tun? Für
Schüler, die keinen Wert auf gute Deutschnoten legen, wäre das eine Alternative. Vielleicht müssen uns aber die Kinder auch
gar nicht Leid tun (oder leid tun?). Denn zugegebenermaßen hat sich die Rechtschreibung durch die Reform stark vereinfacht
und die Schulanfänger können nun so schreiben, wie sie sprechen, dürften also weniger Fehler machen.
Denn wie - außer mit einer Eselsbrücke - war es schon zu vermitteln, dass beispielsweise »st«
nicht
getrennt werden darf, weil es ihm weh tut, obwohl die ansonsten übliche Silben-Klatsch-Methode etwas anderes bewies? Jetzt
kann das »st«
noch so schreien vor Schmerz - es nützt ihm nichts, die Trennung ist staatlich erlaubt.
Ist es denn nicht eher so, da(ß)ss, es uns, die wir es anders gelernt haben, in der Seele weh tut, dass die gute alte
Schreibweise, an der sich unzählige Ausländer die Zähne ausgebissen haben, derart »verhunzt«
wird? Wird
die deutsche Sprache etwa dem heutigen Bildungsstand unserer Kinder angepasst? Böse Zunge behaupten dies. Prominente
deutsche Literaten sprechen gar von Legalisierung der Legasthenie…
Egal, ich freue mich auf den Schulanfang meines Neffen, werde mit einer Zuckertüte im Arm und Tränen in den Augen, gute
Ratschläge erteilen und an diesem Tag nicht darüber nachdenken, ob der Kuss, den Pascal von mir aufgedrückt bekommt, nun
mit doppeltem oder scharfen »s«
geschrieben wird.
Allen Schulanfängern und ihren Eltern eine schöne
Feier und viel Glück!
Ihre Klaudia Naceur