Grün-As

Grünauer auf den Spuren der Vorfahren

Olaf Nelle forscht zur Geschichte von Familien

Rätselhafte Dokumente, langwierige Behördentelefonate, aufwendige Suchaktionen - und manchmal auch ein überraschender Fund: Begibt man sich auf die Spur der Ahnen, braucht man wohl vor allem Geduld. Wer Olaf Nelle kennenlernt, spürt, dass diese Eigenschaft längst nicht ausreicht, um Erfolg zu haben: Entdeckerfreude und Begeisterungsfähigkeit müssen dazu kommen. Der Grünauer ist Familiengeschichtsforscher sowie Mitglied der Leipziger Genealogischen Gesellschaft und berichtet gern über sein spannendes Hobby.

»Um es gleich vorweg zu sagen: Ur-ur-ur gibt es bei uns nicht. Es beginnt bei dem Probanden. Sein Name ist manchmal auch das Einzige, was feststeht. Diesem Probanden folgen Eltern, Großeltern, Alteltern, Altgroßeltern, Obereltern, Obergroßeltern, Oberurgroßeltern, Stammeltern, Stammurgroßeltern, Ahneneltern...« Ein Ururgoßvater werde demnach auch Altvater genannt. Weitere Kriterien kommen hinzu. Beispielsweise gebe es noch für jede Generation einen eigenen Zahlenbereich innerhalb der Abstammungslinie.

Je näher man zur Gegenwart rückt, desto einfacher wird es natürlich mit der Sucherei. Doch es ist ja gerade das Unbekannte, das Spaß macht. Beginne die Detektivarbeit werde in Staats-, Landes- und Stadtarchiven ebenso gestöbert wie in Standesämtern und kirchlichen Archiven. Haben Standesämter Unterlagen bis zum Jahr 1875 bewahrt - sind Kirchenbücher für die Jahre davor eine zuverlässige Quelle. Denn alle Ereignisse wie Geburt, Taufe und Tod wurden vom Pfarrer im Kirchenbuch des jeweiligen Ortes notiert. Heutzutage komme natürlich das Internet als Plattform für die Spurensuche dazu.

Wer sich so gut mit Genealogie auskennt, forscht bestimmt schon jahrelang? Olaf Nelle winkt ab. »Früher hatte ich gar keine Zeit.« Der gebürtige Lindenauer war jahrzehntelang in verschiedenen Metallberufen tätig, baute die Anlagen für die Grünauer Wärmeversorgung mit und arbeitete oft in drei bis vier Schichten. Doch nah dran war er schon immer an Geschichte. Kein Wunder - wenn man Jahrgang '38 ist. »Ich kann mich noch gut an den Krieg erinnern. Unvergesslich - wie eine 5-Zentner-Bombe abgedeckt und die Menschen danach auf den Entschärfer warteten.« Aufgewachsen sei er jedoch auch bei einer Patentante in Goseck. »Ich hätte nie gedacht, dass Goseck mal so berühmt wird. Ein wenig habe auch die eigene Familie dazu beigetragen - wenn auch nicht direkt: Mein Bruder war beim Bau von Gasanlagen beteiligt. Zuvor mussten jedoch Luftaufnahmen gemacht werden. Eine Geologin meinte: Mensch, da muss was sein. Das sieht nach Kreisen und Quadraten aus: So wurde das Sonnenobservatorium Goseck entdeckt - eines der ältesten der Welt.«

Dass er als Junge in dessen Nähe oft gespielt habe, half seinem Geschichtsinteresse natürlich ebenfalls auf die Sprünge. Und wie kam es so richtig ins Rollen? Olaf Nelle holt eine alte, rötliche Schachtel hervor. »Sie habe ich von meiner Großmutter bekommen, als innerhalb kürzester Zeit viele Angehörige starben. Hier hast du was, meinte die Großmutter. Schmeiß nichts weg. Guck dir alles genau an.« Der künftige Forscher begann, sich die Familienfotos und Dokumente genauer anzusehen. Unter all den Unter lagen entdeckte er auch ein Patent zur Weichenstellung der Leipziger Straßenbahnen. »Doch um es anzumelden, fehlte meinem Großvater das Geld.« Und so bekam dieser lapidar mitgeteilt, die Erfindung sei in Amerika schon gemacht.

Doch auch ein Foto weckte die besondere Neugier des Spurensuchers: Es zeigt Martha und Reinhold Nelle. Wer sie waren, erfuhr ihr Nachkomme durch eine Urkunde von 1923: »Martha war die ranghöchste Gut-Templerin im Raum Leipzig. Die Gut-Templer engagieren sich für gesunde Lebensweise und sind eine Bildungs-, Friedens- und eine Kulturorganisation«, so Nelle. Zu ihnen gehörte zum Beispiel auch Herbert Hauwede, ein Leipziger Maler, der es ablehnte, Mielke und Stoph zu porträtieren - damit waren die Chancen für eine Karriere natürlich gleich Null.

Einmal neugierig geworden, möchte Olaf Nelle natürlich noch mehr heraus finden, den ersten Volkshochschulkurs zur Ahnenforschung bekam er geschenkt, den zweiten buchte er schon selbst. Martina Wermes, die Leiterin der Leipziger Genealogischen Gesellschaft, lehrte nützliche Arbeitstechniken und gibt hilfreiche Tipps bei der Spurensuche. »Wenn ich forsche, frage ich mich nun immer, wo kommen die Leute her, was haben sie gemacht, wo haben sie gewohnt«, so Nelle. Seien die Quellen lückenhaft, können die Namen der Patentanten mehr über die gesellschaftlichen Verhältnisse aussagen. Denn Familiengeschichte ist immer auch Zeitgeschichte. Arbeit wartet jedenfalls genug auf den ebenso fleißigen wie freundlichen und neugierigen Familiengeschichtsforscher. »Wir möchten noch die Angaben zu den Leipziger Friedhöfen präzisieren« und der Geschichte, rund um das Patent seines Großvaters, sei er immer noch auf der Spur.

Ingrid Hildebrandt
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