Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Mordshunger

Eine Mord- und Heimatgeschichte des Grünauer Autors Jürgen Leidert
Teil 5

Auch wir stoben auseinander. Jemand brüllte lauter als der schimpfende Bauer: »Sieh mal Bluetner, eine Leiche auf deinem Feld, du warst ja nicht an der Front Alter, hat dein Hund den Tommy tot gebissen?«

Am Haus angekommen, war uns der zornige Bauer dicht auf den Fersen. Rasch waren wir in unseren Häusern verschwunden. Der Brite war der erste Tote, den ich in meinem Leben begegnet bin. Noch heute zeigt sich sein grauslicher Anblick in meinen schlechten Träumen.

Im Hause war der durch Absturz ums Leben gekommene Pilot noch lange Gesprächsthema nicht nur unter uns Kindern. Krieg und Durchhalteparolen, wie: »Kampf bis zum Endsieg!«, waren immer verhasster. Nur nicht jedem gegenüber durfte diese Meinung kundgetan werden.

Tags danach war das Feld weiträumig an der Absturzstelle abgesperrt. Es dauerte, bis das Feld wieder »freigegeben« werden konnte, eine Nachlese von Bluetners Kartoffeln war nun zu spät und ausgeschlossen. Onkel Hein hat eine Feldpost gesandt. Er komme in vier Wochen auf einige Tage Urlaub nach Hause. Tante Marla freute sich sehr und küsste und herzte meinen Cousin.

»Papa kommt bald«, konstatierte sie immer wieder. »Die paar Tage werden wir aber genießen! Da müssen wir es noch ein bisschen 'aufhübschen' unser häusliches Nest, das Schlafgemach wird renoviert! Luise, du fährst bitte einmal zu Vater nach Leipzig und bringst aus seiner Farbdrogerie vier Kilo Schlämmkreide und etwas Leim sowie Malerbürsten mit.«

»Darf ich mit zu Oma und Opa fahren, sie freuen sich bestimmt sehr«, wollte ich von Mutter wissen. »Natürlich, Jungchen, ohne dich Goldknaben kann ich Oma und Opa nicht unter die Augen kommen, aber länger als zwei Tage können wir nicht bleiben. Wenn Onkel Hein zu Besuch kommt, sind wir hier sowieso überflüssig und gehen dann etwas länger zurück nach Leipzig.« Marla sagte darauf: »Na, wir werden sehen, Hein möchte sicher für ein oder zwei Tage Gunter und Jörg hier gemeinsam haben, vielleicht am Anfang und am Ende seines Urlaubs.«

Am Freitag sollte es nach Leipzig gehen, denn am Wochenende hatten die Großeltern mehr Zeit für die Familie. Sonntags hat ja die Drogerie geschlossen. Aber um die Zugverbindungen zum Hauptbahnhof war es jetzt schlecht bestellt, zu gefährlich wegen eventuellen Bombenwürfen auf die Strecke, denn die Lage hatte sich zugespitzt. Wir konnten auch mit einem Bus von Rückmarsdorf-Sandberg zum Leipziger Hauptbahnhof fahren. Der Fußweg war nicht länger, mit der Pünktlichkeit des Busses war es aber fraglich. Fiel er ganz aus, mussten wir in diesem Fall zu Fuß bis zur Straßenbahnlinie 18 noch eine halbe Stunde nach Böhlitz- Ehrenberg laufen, um dort in die Bahn einzusteigen.

In der Innenstadt umsteigen war problematisch, der Schwarzmarkt quoll im Zentrum über vor Menschen. Sie tauschten, kauften oder verkauften Waren jeglicher Art, immer wieder unterbrochen von Polizeirazzien. Es war der Markt genug von Dieben und Halunken durchsetzt, die meisten aber trieb es aus großer Not dahin! Mein Cousin Gunter wäre gern mit zu Oma und Opa gefahren, das war aber »ein nicht zu verantwortender Aufwand«, wie Mutter und Tante übereinstimmend feststellten.

»Wenn ihr wieder hier seid, backen wir für die Kinder einen Kuchen«, tröstete Tante Marla ihren Sohn und spornte uns an, unsere Reise zügig und erfolgreich zu absolvieren. »Luise, grüße Vater und Mutter von uns ganz lieb! Hoffentlich hat Vater noch soviel Leim und Schlämmkreide für die Renovierung. Also gute Fahrt!«


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