Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Mordshunger

Eine Mord- und Heimatgeschichte des Grünauer Autors Jürgen Leidert
Teil 16

Er jammerte und gab kleinlaut an: »Mir tut Kopf und Hals weh, ich kann so schlecht schlucken!«

»Marla, der Kleine muss ins Bett, ehe sich die Jungens anstecken. Diphterie und Masern sind auf dem Vormarsch. Da können wir kein Risiko eingehen, ist es nichts, ist er Übermorgen zu Ostern wieder gesund! Hast du schon Fieber gemessen?«

»Noch nicht, – ja Gunter, du legst dich jetzt ins Bett, nimm dir ein Buch mit. Am besten, du schläfst etwas. Dann komme ich, Temperatur messen!«

Mir schmeckte die kräftige Spinatsuppe von Brennnesseln sehr gut und ich bat um Nachschlag, da ich gesehen hatte, es war reichlich in der Terrine. »Iss nur tüchtig, damit du ein starker Knabe wirst und stattlich wächst«, meinte Tante.Mutter berichtete vom Vormittag auf der Wiese. »Dass es so zeitig wunderbar warm ist und schon Wiesenchampignons in der Dichte stehen, habe ich noch nie erlebt. Das Wattel hat andere Pilze auch genommen, wir haben nur jene, die wir kennen. Ich werde sie dann gleich putzen und blanchieren. Ostersonntag können wir sie mit Eiern und Kartoffeln essen! Was meinst du, Marla?«

»Nicht schlecht,das wäre schon ein Festschmaus, hoffentlich ist der Kleine wieder fit!« Sie ging mit Mutter in die Küche, besah sich die gesammelte Ernte. Dann räumten wir gemeinsam das Geschirr ab, ich half Mutti den Abwasch erledigen, trocknete Bestecke und Teller ab.

Tante ging Fieber bei Gunter messen. »37,5° C, Luise, das werden wir schon hinkriegen. Ich habe noch genügend Salbeitee, wenn das Fieber nicht steigt, dann ist er Ostern wieder gesund!« – Und an Gunter gewandt: »Du musst aber den Tee auch trinken, soviel wie geht, er ist etwas bitter, ich werde reichlich Zucker hineintun. Aber dann wirst du schnell alle Schmerzen los sein!«

»Ja, Mutti, ich werde alles so machen, wie du es sagst. Ich will schließlich Ostern mit Jörg im Park Ostereier suchen! Vom Osterkuchen will ich auch kosten!«»Ja, Junge, viel trinken, dann wird es schon!«

»Jörg, geh' eine Weile auf den Hof. Habe hier mit Marla zu tun vor dem Fest. Draußen sind die Kinder und ihr könnt miteinander spielen.« Ich ging, öffnete die Haustür, um das Haus zu verlassen, da stand die Postbotin und übergab mir eine Postkarte. »Gib sie deiner Tante, einen guten Osterhasen wünsch ich dir!« Ich rannte zur Küche, übergab die Post.

Tante Marla sagte: »Hör mal, Luise, komische Post von Hein, er schreibt keine Feldpost, sondern diese Karte: 'Liebes, tut mir leid, der Endkampf, so heißt es, hat begonnen, Urlaub ist eigentlich jetzt nicht mehr möglich! Seid ruhig, bin unterwegs, des Nächtens muss ich mich zu Fuß durchschlagen. Wartet also nicht! Bald alles vorbei! Küsse dich lieb und umarme euch alle fest! P.S: Mehr kann ich dir heute leider nicht schreiben!'«

»Ja, Marla, der Amerikaner steht nicht mehr weit vor Kassel mit seiner 69. US-Infanterie-Division. Vielleicht hat Hein seinen Urlaub noch irgendwie antreten können, ist in dem Chaos zwischen die Fronten geraden. Nun kann er nur nachts vorsichtig sich heimwärts bewegen! Wird er von unserem Militär erwischt, schicken sie ihn zurück zu seinem Standort, wird er von den Alliierten geschnappt, gerät er in Gefangenschaft! Aber Aufregung oder Grübeleien sind zwecklos, wir können nur Daumendrücken!«

Mit Tränen in den Augen: »Du hast recht, furchtbar, ich kann nur hoffen und warten«, konstatierte die Tante.


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