Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Mordshunger

Eine Mord- und Heimatgeschichte des Grünauer Autors Jürgen Leidert
Teil 18

»Gestern Nacht haben englische Fallschirmjäger den alten Lorenz aus seinem Haus geholt, dann ist auf der Ellernwiese hinterm Haus eine Militärmaschine gelandet, und sie waren alle auf und davon. Sie müssen gewusst haben, dass der Alte bei der SA war. Warum hätten sie ausgerechnet sonst ihn holen sollen?! Vielleicht sind wir ja bald alle dran.«

Olaf sagte dazu nichts. Er ging mit dem Bauern über den Hof zum Pferdestall. »Hier hängt die Bürste«, zeigte Kautz Ole den Hagen an der gekalkten Stallwand. »Fang erst mit Lies an, danach nimmst du dir den Moritz vor, er ist etwas störrisch, tritt gern mal aus, wenn ihm was nicht passt. Aber wenn er sieht, der Lies passiert nichts Böses, wird er sich das Putzen schon gefallen lassen. – Bis dann, wenn du fertig bist, meldest du dich!«

Olaf begann mit der Arbeit, bürstete systematisch das Fell von Kopf und Mähne bis zum Schweif. An einer Stelle des Fußes, direkt über dem linken Hinterhuf war angebackener Schlamm und Kot, er musste mit Wasser nachwaschen und aufpassen, dass die Stute ihm keinen Tritt versetzt.

Aber es ging alles gut, Schweif und Mähne waren durchgekämmt. Die Lies sah schmuck aus. Wenn ihr noch das festliche Geschirr zum Feiertag angelegt wird, ist sie eine richtige Hingucke. Aber jetzt ging er in den anschließenden Nebenraum des Stalls, da standen die Mehlsäcke, die der Bauer vom Kornmahlen von der Mühle geholt hatte. Ole füllte schnell seinen kleinen Leinensack mit reichlich Mehl, band des Bauers Sack wieder fest zu, und versteckte den Leinenbeutel unter seiner am Pferdehalfter aufgehängten Windjacke. Da werde ich ein schönes Brot backen können, freute er sich über das geklaute Mehl.

Ole hatte sich jetzt den Haflinger Moritz vorgenommen. Er putzte ihn ohne Mühe und meldete sich nach getaner Arbeit bei Oskar Kautz. »Alles erledigt, geben Sie mir ein paar Eier und drei Mark!«

»Na, da musst du dich nochmal sehen lassen, am besten am Mittwoch nach Ostern, am 4. April. Da kannst du den Kuhstall mit ausmisten und neues Stroh einbringen. Ich bin auch dabei. Gebe dir jetzt auch noch etwas Rübensirup mit, damit du Ostern nicht Hunger leiden musst.«

»In Ordnung, Herr Kautz, hoffentlich müssen wir nicht ins Heim, der Schröher war da, hat so komische Andeutungen gemacht, weil wir keinen Vormund haben. Schließlich ist mein Vater schon vor acht Monaten bei Königsberg erschossen worden, wo schon viele gen Westen geflüchtet waren.«

Er nahm seine Tüte mit fünf Eiern, das Glas mit Sirup und die Geldscheine. Seine Joppe mit dem verborgenen Säckchen hatte er über den linken Arm gelegt. »Frohe Ostern dann, Herr Kautz, und vielen Dank, bis Mittwoch!«

Er ging an der Dorfeiche vorbei. Plötzlich kam das Wattel über die Straße gerannt. »Na, hast ja schön zugeschlagen beim alten Kautzbauer. Und bist noch am Lehbn.«»Ja, muss Mittwoch wieder hin, hat schon Vorschuss gelöhnt«, ließ Olaf wissen. Wattel sagte: »Ich hab och mei Teil bekomm vom Schlemiel, jetzt werd isch die Pilze putzen, da könn mor ahmds paar essen, in Rest Ostersonntag zu Mittag! Lass mich in de Küche, einen Tiegel für meine Pilze hole ich von mir.«

Er ging die Treppe hoch, holte die Körbe mit den Schwammeln und einen Tiegel. Etwas Schweineschmalz hatte er in einem Glas, das er mitbrachte. Den bescheidenen Lebensmittelvorrat hatten die Brüder, jeder für sich, im Garten in ausgehobenen Erdlöchern mit Brettern abgedeckt, aufbewahrt. »Gib ma aus der Eiertüte zwei dazu oder willst die Schwammis ohne essen?«

»Meinetwegen«, antwortete Olaf. »Hier nimm sie!«


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