Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Mordshunger

Eine Mord- und Heimatgeschichte des Grünauer Autors Jürgen Leidert
Teil 22

Es war Freitag, der 20. April, stockdunkle Nacht. Axel hielt es nicht mehr zu Hause, wollte nach Mitternacht durch den Hinterausgang am Hofgarten nach draußen gehen, nach dem Rechten sehen. »Um diese Zeit schläft alles im Ort. Sollte Alarm kommen, müssen auch die Leute in ihre Keller, da treibt sich Niemand auf den Ellernwiesen herum«, sinnierte er vor sich hin.

Er wagte es, nach all den Tagen, die er hier gebunden war, durch den Hintereingang das Haus zu verlassen, ging quer über die Wiesen und in das Erlenholz. Dort setzte er sich vor einen alten Baum. Die Mondsichel hatte schwaches Licht auf die Wipfel der Bäume und unter deren Laubkronen Schatten geworfen. So konnte er kaum entdeckt werden bis die Morgendämmerung beginnt. Dann wird er schnell wieder verschwinden.

Er hatte gerade einige Minuten Ruhe gefunden, aber plötzlich leuchtet vor ihm eine Stabtaschenlampe auf. Drei amerikanische Soldaten mit weißen Helmen und den Großbuchstaben »MP« (Militärpolizei) darauf, standen vor ihm. Erschrocken, überrascht und leichenblass hatte er sich vom Waldboden erhoben.

»Boy, du Faschist!?« Er hob sein Gewehr an und richtete es auf den Jungen: »What are you doing here? This is very surprising!« Der zweite Ami übersetzte: »Nach wem suchst du? Ist das denn nicht die Höhe?« Der andere Militär: »Who you are?«

»Dein Name«, sagte der Dolmetscher, »wohnst du hier?« Das Wattel verstört, gab kleinlaut bei: »Ja hier drüben, heiße Axel Stannebein«, zeigte mit dem Finger über die Wiese. »Ich wollte austreten!«

»He was peeing«, erläuterte der Ami seinen Kameraden. Der Kommandant der Streife, winkte ab, gab Befehl: »Go, avanti, dalli, you will come?« Er stieß dem Wattel den Lauf des Gewehrs in den Rücken und schrie immer wieder: »Go, go!« Das Wattel zitterte und ging eilig über die Wiese auf sein Heim zu. »Hier bin ich zu Hause«, rief er. Der Übersetzer sagte auf englisch dem Offizier: »Er ist kein Nazi, ist unbewaffnet, war nur pinkeln!«

Bauer Kautz hatte von dem Spektakel gehört, das Wattel gesehen, wie er seinem Haus durch die Militärs zugeführt wurde. Der Dolmetscher sagte noch zu ihm: »Lass dich nie wieder erwischen, ist verboten, nachts außer Haus zu gehen. Da nehmen wir dich mit.«

Gleich morgens hatte Oskar Kautz bei der Haustür angeklopft. »Wattel, ich habe dich gesehen, öffne jetzt, ich will mit dir sprechen!« Axel rief: »Ja, ich komme«, schloss die Haustür auf, »was wolln se denn?«

»Wo warst du und dein Bruder die ganze Zeit, schließlich hat er bei mir noch etwas abzuarbeiten, der Olaf.«

»Herr Kautz, ich weiß es nicht, wo er abgeblieben is, is wahrschenlisch getürmt, dor Ole. Hab ihn schon üwerall gesucht, weiß och nisch, was isch machen soll! Jedenfalls hatte ich die Hosen scheen voll, wo misch de Amis offgegriffn hamm!!«

»Hast du schon den Dorfsheriff und den Gemeindediener informiert?«

»Nee, bin ja heute erscht wieder hier, Herr Kautz! Vielleicht hamse schon, wie bei Hamann Denke un Kranz ihn als Konserven eingekocht, als Schweinefleisch verkauft, das arme Luder.«

Oskar Kautz sagt: »Anfang der Woche werde ich mal mit Schröer darüber reden, er kann ja immernoch aus der Versenkung auftauchen. Übrigens, geh mal zu Rietzscholds Emil, sein Helmut ist nicht ganz fit, die Heidi muss die Kühe verpflegen und melken. – Und wenn der Ole nicht wieder auf der Bildfläche erscheint, musst du seine Schulden abtragen, aber ich bin kein Unmensch. Soll auch für dich nicht ganz umsonst sein. Aber Olaf wird bestimmt eines Tages zurückkehren.« »Montach wärsch misch ma bei Rietzschold meldn, muss erscht ma hier im Haus Ordnung machen, wo ich solange nisch da war«, erklärt das Wattel.


Weiter>>>
Karte