Zu Besuch bei Frau Antje
Holländisches Königspaar auf Stippvisite in Grünau
Die ersten Zaungäste sind gleichsam die jüngsten: Warm eingepackt, in den behandschuhten Händchen rot-weiß-blaue Winkelemente und mit roten Nasen, warten die Kinder der Kita Häschengrube hinter einer mobilen Absperrung auf ein Ereignis, dass sich so schnell wohl nicht wiederholen wird.
Eine Dreiviertelstunde müssen sich die Jungen und Mädchen an diesem Morgen des noch gedulden, bevor sie einem echten Königspaar gegenüberstehen. Eine Frage lässt
erahnen, welche Erwartungen das in einem Fünfjährigen so auslösen kann: »Wie viele Ritter sind denn dabei?«
, fragt er in die Runde und wundert sich über das Schmunzeln der Erwachsenen.
Nun, wenn der Steppke tatsächlich darauf gehofft hatte, blitzende Rüstungen hoch zu Pferde zu sehen, dann wird er wohl enttäuscht gewesen sein. Die Oranjes, König Willem-Alexander und Königin Máxima, kommen natürlich in schnöden Autos vorgefahren – begleitet von uniformierten Rittern in schickem Polizei-Blau sowie auffällig unauffälligen Bodyguards, jeder Menge unbekannter, aber scheinbar wichtiger Leute, die dennoch merkwürdig blass neben den Majestäten wirken. Und schlussendlich ist da auch noch eine schier unüberschaubare Masse an Journalisten, die den Tross begleiten dürfen.
Allein dieser Rummel ist es schon wert, sich an einem klirrend kalten Wintertag zum Marktplatz an der Stuttgarter Allee zu begeben. Seit vier Monaten weiß Quartiersmanagerin Antje Kowski vom anstehenden
Königs-Besuch im »größten Plattenbaugebiet der ehemaligen DDR – außerhalb Berlins«
, wie es immer so schön heißt. Vier Monate muss sie diese Information für sich behalten. Top secret. Wer
»Frau Antje«
(das Wortspiel sei gestattet, es drängt sich in diesem Zusammenhang geradezu auf) kennt, weiß, dass ihr das sicher nicht leicht gefallen ist. Aber sie hat dicht gehalten und auch
sonst sehr viel dafür getan, dass dieser Termin für die niederländischen Koningen in ihrem straffen Zeitplan ein Erlebnis wird.
Eine Begrüßung auf holländisch hat sie einstudiert, den Stadtteilladen mit orangefarbenen Accessoires ausstaffiert, Fähnchen besorgt wie verteilt und den hohen Besuch mit einem, an der Hotel-Rezeption des Steigenbergers abgegebenen Grünauer Überraschungspaket auf den Stadtteil vorbereitet. Nicht zuletzt hat Antje Kowski gemeinsam mit ihrem Mann für die richtige Mischung an Leuten gesorgt, denen für 15 Minuten die ganze royale Aufmerksamkeit gehört.
Und die der Presse selbstredend. Die Auserwählten, darunter Erbauer, Ur- sowie Neueinwohner und Grünauer Akteure, harren der Dinge, die da auf sie zukommen. Gebrieft, geprüft, sichtlich nervös und von den draußen Wartenden neidisch beäugt. Mittendrin Oberbürgermeister Burkhard Jung. Seltsam unbeachtet. Kurz vor geht er mit seiner Frau den Majestäten entgegen und winkend strahlt er in die kanpp 400-köpfige Menge. Dann geht es zurück zum Stadtteilladen, wo es langsam hektisch wird.
»Alle auf ihre Plätze«
, ruft Antje Kowski, derweil sich der royale Pulk seinen Weg von der Ringstraße über den erstaunlicherweise nicht abgesagten Wochenmarkt bahnt – vorbei an winkenden
Omis und beim Anblick niedlicher Kinder auch mal kurz ungeplant den Weg verlassend quer über die Wiese. In dem Moment, als Willem-Alexander mit breitem Lächeln und einem lockeren »Wie geht es Ihnen?
«
den Laden betritt, scheint auf wundersamerweise jegliche Anspannung verflogen. Hätte es kein Protokoll gegeben, so wären sicherlich alle gleich in eine muntere Plauderei eingestiegen. Aber solche
Termine sind streng geregelt. Nach der offiziellen Begrüßung, kommen die holländischen Gäste in den Genuss eines zweiminütigen Ausschnittes des Grünauer Lipdub-Filmes, danach teilen sich die Anwesenden auf drei
Thementische auf.
Genüsslich Kaffee schlürfend fragen der Monarch und seine Gattin nach Grünauer Befindlichkeiten. »Warum leben Sie hier?«
, »Was ist das Besondere an Grünau?«
,
»Wie hat sich das Viertel verändert?«
, »Was gibt es für Probleme?«
Ja, auch die kommen im Smalltalk mit dem König zur Sprache. Aber eben nur am Rande. Tiefgründig kann man
bei einer Gesprächszeit von zwei mal acht Minuten kaum werden – schon gar nicht, wenn alle zu Wort kommen möchten.
Man soll bekanntermaßen aufhören, wenn es am schönsten ist. Oder muss. Als OBM Jung seine Majestäten zum Aufbruch drängt, wirkt es gerade so, als ob die gern noch ein wenig beim Grünauer Völkchen geblieben wären: Máxima steht noch vertieft in ein Gespräch mit Erbauer Bernd Puckelwaldt, der kumpelhaft seine Hand auf ihre Schulter legt. Ihr Mann witzelt am Nachbartisch mit Pfarrer Matthias Möbius und Ministerpräsident Stanislaw Tillich.
Nein, ist im Nachgang unisono zu vernehmen, so habe man sich diesen Besuch tatsächlich nicht vorgestellt. Mit dem augenzwinkernden Nachsatz: Können gerne wiederkommen. Die letzten offiziellen Worte des
Vormittages findet Burkhard Jung: »Das war eine wunderbare Idee, hierher zu kommen. Das tut den Menschen unglaublich gut!«
. Sprach's, sammelt die gesamte Delegation ein und läuft mit ihnen
auf kürzestem Weg zur Breisgaustraße, wo schon der beachtliche Fuhrpark wartet.
So, und warum nun die ganze Aufregung? Der Besuch Grünaus wurde dem Königspaar auf ihrer Reise durch Mitteldeutschland von der sächsischen Staatskanzlei vorgeschlagen. Sie sollen, so liest man, gleich von dieser Idee begeistert gewesen sein. Schließlich haben sie im eigenen Königreich, in Amsterdam und Rotterdam ähnliche Großwohnsiedlungen. In unserer wollten sie sich ein Bild davon machen, wie man hierzulande mit aufkommenden sozialen Problemen und schwierigen städtebaulichen Herausforderungen umgeht. Ob ihnen der Besuch in dieser Hinsicht etwas gebracht hat? Wer weiß? Für Grünau war es ein Erlebnis.
Klaudia Naceur