Nat(o)ur 2000 - mit dem Fahrrad unterwegs
Nachdem die in unserer letzten Ausgabe beschriebene Tour zu den Frühjahrsblühern im Auwald bereits Geschichte ist, stellen wir Ihnen heute den zweiten Ausflug vor. Der Leipziger Südraum war einmal eine reizvolle Naturlandschaft. Der Elsterauwald zog sich bis zum Vogtland. Zwischen fruchtbarem Ackerland und wohlhabenden Dörfern zogen sich zahlreiche kleine Bäche und auch einige Hügel. Das meiste davon hat der Bergbau für immer vernichtet. Aber einige idylische Flecken sind geblieben, und neue Naturlandschaften entwickeln sich rasch auf den Rohböden, die der Bergbau hinterlassen hat. Die neuen Landschaften, Feuchtgebiete und Wälder haben wenig Ähnlichkeit mit ihren Vorgängern, die die Tagebaue zerstört haben. Aber artenreich und schützenswert sind auch sie. Mit drei Radtouren wollen wir uns altes und neues in der Natur südlich von Leipzig ansehen. Die erste Tour am 6.Mai gilt Reihern und Störchen.
Der Lebensraum, der sie hervorgebracht hat, die Umgebung von Wasser, ist seit Urzeiten in
seinen Grundzügen etwa gleich geblieben. Die ältesten Funde, die das Auftreten von Reihern und
Störchen in der Erdgeschichte bezeugen, stammen aus der Zeit vor etwa 50 Millionen Jahren. Sie
gehören zu den ältesten Vögeln überhaupt und haben auch im Körperbau noch manche Ähnlichkeit
mit ihren Ahnen, den Dinosauriern. Vögel und der berühmte Tyrannosaurus rex haben mit hoher
Wahrscheinlichkeit gemeinsame Vorfahren, und die furchtbaren Velociraptoren aus Steven
Spielbergs Film »Jurassic Parc«
sind vermutlich direkte Vorfahren der Vögel. Ein anderer
Saurier aus diesem Film, der Oviraptor, hat sogar bereits seine Eier in Nestern wie die Vögel
ausgebrütet und die Jungen dann vogelähnlich aufgezogen. Der Grundbauplan der Reiher ist den
ältesten echten Vögeln jedenfalls noch recht ähnlich.
Reiher sind im Fliegen leicht von anderen großen Vögeln mit langem Hals (Störche, Kraniche) zu unterscheiden, weil sie ihren Hals S-förmig zurück krümmen. Störche und Kraniche fliegen dagegen mit ausgestrecktem Hals. Reiher mit ihren breitflächigen Schwingen sind keine ausdauernden Segler. Der kräftige Dolchschnabel wirkt bei der Jagd wie eine Pinzette oder wie ein Speer.
In Leipzig und Umgebung ist der Fischreiher oder Graureiher keine Seltenheit, und seit die Flüsse wieder sauberer werden, nimmt der Bestand weiter zu. Selbst mitten in der Stadt kann man die wenig scheuen Vögel beobachten. Eine kleine Kolonie Reiher hat sich in einem Rest des Pleißeauwaldes zwischen Gaulis und Rötha am Pleißestausee gebildet. Hoch in den Kronen alter Bäume sind die Reisighorste angelegt, in denen meist vier oder fünf blaugrüne Eier liegen. Vier Wochen lang teilen sich die Eltern ins Brutgeschäft; tagsüber lösen sie sich etwa alle fünf Stunden ab. Die Jungen tragen ein duniges Kleid, wenn sie schlüpfen, und können auch schon sehen. In den ersten Tagen bekommen sie ihr Futter vorgewürgt oder auch gleich in den Schnabel.
Später aber gibt es der Altvogel nur heraus, wenn das Junge seinen Schnabel packt und ihn auf und ab zerrt, wie das alle jungen Reiher tun. Wenn die Alten auch genügend Nahrung heranschaffen, so sterben in starken Bruten doch oft die zuletzt geschlüpften Nestlinge Hungers, da sie von ihren älteren Geschwistern zurückgedrängt oder gar mißhandelt werden. Mit fünf Wochen wagen sich die Jungreiher, obwohl ihrer Schwingen noch gar nicht recht mächtig, schon aus dem Horst, wenn auch nicht lange. Im Alter von zwei Monaten aber sind sie voll flugfähig und zerstreuen sich bald in alle Winde. Fischreiher fressen vorwiegend Fische, nehmen aber auch andere kleine Wirbeltiere, besonders Mäuse und Frösche und überhaupt alles Getier, das sie erlangen und schlucken können. Meist sieht man sie im flachen Wasser jagen, wo sie gemessenen Schrittes mit vorgestrecktem Hals nach Beute spähen und dann blitzschnell und zielsicher zustoßen; manchmal lauern sie auch unbeweglich, bis ihnen etwas vor den Schnabel kommt. Reiher schwimmen fast nie, können aber wie viele Vögel ein günstiges Nahrungsangebot auch mit einem sonst ungebräuchlichen Verfahren nutzen; so hat man gelegentlich Fischreiher gesehen, die sich schwimmend aufs Wasser begaben, um zu fischen, oder gar aus mehreren Metern Höhe stoßtauchend ihre Beute fingen. Der gelbe, zur Balzzeit oft rot getönte Schnabel und die schwarzen Brauen, die sich im Nacken in lange schmale Schopffedern fortsetzen, zieren den grauen Reiher; auch die Spitzen der 1,80 m spannenden Flügel sind schwarz.
Obwohl der Graureiher vorwiegend Fische frißt, schädigt er Fischwirtschaften kaum. Ihm fallen vorwiegend kleine und kranke Fische zum Opfer. Damit ist er sogar nützlich: die Kranken könnten sonst schnell zum Ausgangspunkt einer Epidemie werden, die den Fischwirt weit mehr Verluste bereitet als die Reiher mit ihrem Appetit. Problematisch sind nur Kormorane, die sich manchmal geradezu auf überbesetzte Teiche spezialisieren und aus dem verdreckten Sauerstoffarmen Wasser auch größere Fische an der Oberfläche geradezu absammeln. Mit etwas Glück können wir auf unserer Tour auch Kormorane sehen. Die schwarzen Verwandten der Pelikane sind Stoßtaucher. Sie stürzen sich aus der Luft auf ihre Beute, zum Teil recht große Fische. Erstaunlicherweise ist ihr Gefieder nicht wasserabweisend wie bei Enten, Störchen oder Reihern. Man kann daher oft Kormorane sehen, die mit gespreizten Flügeln in der Sonne stehen, um ihr Gefieder zu trocknen.
Gleich hinter dem Auwaldrest mit der Kolonie erhebt sich das Kraftwerk Lippendorf. Das Bild bietet ein schönes Gleichnis: Natur und Wirtschaft können nebeneinander bestehen, wenn die Menschen Vernunft walten lassen. Gegen das gewaltige Kraftwerk hat sich übrigens im Dörfchen Gaulis eine Bürgerinitiative gebildet, die starken Rückhall auch in Rötha und Böhlen findet. Über den mächtigen Kühltürmen hat sich eine große weiße Wolke gebildet, die den Dorfbewohnern vor allem nachmittags die Sonne nimmt. Was das Leid der von Umsiedlung bedrohten Heuersdorfer nicht vermochte, die Wolke hat es geschafft, dass große Teile der Bevölkerung wieder gegen Bergbau und Kohleverbrennung protestieren, auch wenn es sich um das modernste Braunkohlekraftwerk der Welt handeln soll. Für die Heuersdorfer ist das vorteilhaft, die Zahl ihrer Unterstützer wird durch die Wolke im Moment kräftig vermehrt. In der Umgebung der Kolonie gibt es über 60 weitere Vogelarten, die dort regelmäßig brüten, darunter Eisvogel, Rot- und Schwarzmilan, Baumfalke, Weißstorch, Tafel- und Reiherente, Zwerg- und Haubentaucher, Schwarz-, Mittel-, Grün- und Kleinspecht, Nachtigall, Rotkehlchen, Gelbspötter, Sumpfrohrsänger, Beutel-, Schwanz- und Sumpfmeise, Wald- und Gartenbaumläufer, Heckenbraunelle, Pirol, Grau- und Trauer fliegenschnäpper, Zaunkönig, Gartenrotschwanz, aber auch Komorane fischen regelmäßig im Stausee.
Unsere Tour beginnt am KOMM-Haus in der Selliner Straße, Treff am 6. Mai, 9 Uhr. Von dort
fahren wir längs der S-Bahn Richtung Antonienstraße. In den Büschen am Radweg brüten übrigens
zahlreiche Vögel, darunter Nachtigallen. Grünau ist wahrscheinlich der Leipziger Stadtteil mit
den meisten wilden Tier- und Pflanzenarten in Leipzig. Wer sich Natur in der Nähe der Wohnung
wünscht, ist in Grünau richtig. Dazu tragen auch die verwilderten Flächen bei, die mit ihrem
»Un«
kraut zahlreichen Vögeln und Insekten Nahrung bieten. Aber selbst Hasen, Fasane, Wachteln,
Igel, Spitzmäuse, Wiesel und Iltise halten sich dort gern auf und das mitten in Leipzigs
dichtbesiedelstem Wohngebiet. Durch den Auwald fahren wir dann zum Forsthaus Raschwitz und
weiter zum Pleißedamm. Ab Forsthaus Raschwitz wird uns Herr Schruth, der Kreisvorsitzende des
Naturschutzbundes begleiten. Er wird uns auch durch den Wald der Reiher führen und uns einiges
eher verborgene zeigen und erklären. Natürlich wird sich auch Gelegenheit finden, über die
Konflikte zwischen Wirtschaft und Naturschutz längs des Weges zu reden und bei Bedarf auch zu
streiten. Dem Fluß folgen wir bis Rötha, den größten Teil über einen gut ausgebauten Radweg
längs der Pleiße fern allen Autoverkehrs. In Rötha statten wir erst einmal den Störchen einen
Besuch ab, bevor wir dann die letzten Kilometer zum Stausee und Wald der Reiher fahren.
Die Gesamtlänge der Tour beträgt von Grünau ca. 25 km. Die Rückfahrt ist auch mit der S-Bahn ab Böhlen möglich. Die Tour ist für Familien gut geeignet. Es gibt einiges zu sehen und auch zu hören (vor allem verschiedene Singvögel, darunter Nachtigallen und die für meinen Geschmack besten Sänger: die Mönchsgrasmücken, aber auch das merkwürdige Zilp-zalp des Weidenlaubsängers), so dass es Kindern nicht langweilig wird. Die gesamte Strecke liegt höchstens einige hundert Meter von gut befahrenen ÖPNV und S-Bahnrouten entfernt.
Dr. Leonhard Kasek Weiter>>>