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Radtour zum 100. Todestag von Friedrich Nietzsche

Wer war dieser schon zu Lebzeiten umstrittene Mann?

ImageLink Am 25. August war es 100 Jahre her, dass Friedrich Nietzsche in Weimar starb? Im alten Lexikon aus der DDR von 1968 hieß es dazu: »Philosoph und Schriftsteller; Vorläufer der imperialistischen, mystisch-irrationalistischen Lebensphilosophie und der faschistischen Ideologie; erklärte den ›Willen zur Macht‹ und das Prinzip ›nichts wahr, alles ist erlaubt‹ zur Grundkultur alles Seienden. Obwohl Gegner der Religion, vertrat er einen resignierenden Schicksalsglauben und bekämpfte die marxistische Arbeiterbewegung von der Position einer aristokratischen Elitetheorie und Herrenmenschenmoral.«

So oder ähnlich wurde der wahrscheinlich nach Marx bekannteste deutsche Philosoph des 19. Jahrhunderts in der DDR abgetan. Und doch hat er sich immer wieder durch die Hintertür eingeschlichen. Auch in der DDR geschätzte Schriftsteller wie Thomas Mann haben sich immer wieder mit Nietzsche beschäftigt und viel von ihm gelernt. Für Thomas Mann war Nietzsche eine Art Don Quijote, der Tod und Teufel nicht scheut, der nicht für sich und seine Habe, sondern für den Stand eines besseren Menschen, auch für die von falschen Werten Bedrängten und Schutzbedürftigen ausreitet und für sich selbst nur Leid erfährt, und der daher »Schmerz, Liebe, Erbarmen und grenzenlose Verehrung« erweckt.

Wer hat hier Recht? Thomas Mann wird Nietzsche weit eher gerecht als der Autor des DDR- Lexikons, der vermutlich nie auch nur einen Satz von Nietzsche gelesen hat oder nur diesen einen hörte: »Wenn Du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht!« So etwas ähnliches steht tatsächlich in »Also sprach Zarathustra«, Nietzsches vielleicht wichtigstem Buch. Im Anschluß an eine Passage, in der (Nietzsche-) Zarathustra einer alten Frau seine Ansichten über die Frauen darlegt, antwortet diese u.a.: »Und nun nimm zum Danke eine kleine Wahrheit! Bin doch alt genug für sie! Wickle sie ein und halte ihr den Mund: sonst schreit sie überlaut, diese kleine Wahrheit. … Du gehst zu Frauen? Vergiß die Peitsche nicht!« Dieser Umgang mit Nietzsche ist typisch: Man pflückt sich einzelne Sätze heraus, dreht und wendet sie bis sie geeignet sind, unter prominentem Namen die eigene Meinung zu verkünden, zu der man sich ohne solche Verpackung nun doch nicht bekennen möchte.

Der Mensch auf dem Weg zwischen Affen und Vollkommenheit

Nietzsche hat, solange er konnte, im Januar 1889 ist er in geistiger Umnachtung versunken, gegen alle festen Werte, Weltanschauungen, Ideologien angekämpft und geradezu ängstlich darauf geachtet, selbst keine feste Lehre zu hinterlassen, auf die sich andere Stützen können, die selbst nicht Denken wollen. Typisch ist die folgende Stelle: Zarathustra trifft einen Bergprediger, der sich ekelerfüllt von den selbstsüchtigen Menschen abgewandt und mit Kühen umgeben hat. Nach einem längeren Gespräch verabschiedet er sich »Jetzt aber nimm flugs Abschied von deinen Kühen, du Wunderlicher! Lieblicher! Ob es dir schon schwer werden mag. Denn es sind deine wärmsten Freunde und Lehrmeister! Einen ausgenommen, den ich noch lieber habe, antwortete der freiwillige Bettler. Du bist selber gut und besser noch als eine Kuh, oh Zarathustra! Fort, fort mit dir du arger Schmeichler, schrie Zarathustra mit Bosheit, was verdirbst du mich mit solchem Lob und Schmeichelhonig? Fort, fort von mir! Schrie er noch einmal und schwang seinen Stock nach dem zärtlichen Bettler, der aber lief hurtig davon.«

So findet sich bei Nietzsche wenig festes, sein Denken ist in stetem Fluß, ändert sich, eben gesagtes wird kritisch hinterfragt, widerlegt. Für Nietzsche ist der Mensch auf halbem Weg vom Affen zur Vollkommenheit stehen geblieben, und ständig fordert er, weiterzugehen, und diesen Menschen, der über sich hinausgegangen ist, nennt er Übermenschen. Von ihm erfährt der Leser von Nietzsches Büchern aber fast nur, was er nicht ist. Zu sagen, was er ist, hätte Nietzsche auf die Seite derer geführt, die er bekämpfte, der Heilslehrer, die den Menschen die Lösung ihrer Sorgen verheißen, wenn sie ihnen folgten. Diese Haltung hat auch dazu geführt, dass Nietzsche keine logisch gegliederten, systematischen Abhandlungen verfasst hat. Seine Bücher sind eher Erzählung, Aphorismensammlungen, anregende Gedankensplitter. Ihre geschliffene Prosa war ein Grund für die Verehrung, die er in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei vielen Schriftstellern fand.

Nitzsche ein Wegbereiter für den Faschismus?

Dieser Feind aller Ideologen soll ein Vorläufer des Faschismus sein? Nun die Nazis haben ihn benutzt. Nach seinen Tod wurde das von seiner Schwester allerdings intensiv vorbereitet. Sie, selbst eine hasserfüllte Antisemitin, gab nach ihres Bruders Tot den Nachlass heraus, nicht ohne Bearbeitungen, die Verfälschungen sind. Auch der Titel einer dieser Nachlasssammlungen, »Der Wille zur Macht«, stammt von ihr. Auf sie bezogen, hat die Auslassung im DDR-Lexikon eine gewisse Berechtigung, auf ihren Bruder nicht. Der hat sich übrigens die Interpretationen und »Ergänzungen« seiner Schwester verbeten, solange er noch konnte.

Bild Über seine Geisteskrankheit gibt es viele Spekulationen. So ist von Syphilis, die Rede, die er sich in einem Bordell zugezogen haben soll. Diese Syphilis, von der bis heute nicht geklärt ist, ob er sie hatte, wurde auch bemüht, um gelegentlich nicht eben frauenfreundliche Ausfälle zu erklären. Aber die gehen wohl eher auf zwei andere Frauen zurück, seine Mutter und seine Schwester, die ihn mit ihren festen Vorstellungen von »Du sollst und Du sollst nicht« in der geistigen Enge der Pfarrersfamilie, in die er am 15. Oktober 1844 hineingeboren wurde, anscheinend einigermaßen drangsaliert haben. Nietzsches Vater war Pfarrer in Röcken, einem schmucklosen Dörfchen hinter Lützen. In Röcken ist auch sein Grab.

Als Nietzsche 5 Jahre alt war, starb sein Vater und die Familie zog bald darauf nach Naumburg. Nach dem Besuch des berühmten Gymnasiums in Schulpforta begann er 1864 in Bonn zu studieren. Als sein Philologieprofessor Ritschl ein Jahr später nach Leipzig wechselte, folgte er ihm. Hier in Leipzig studierte er bis 1870 Theologie und Altphilologie und wurde dann auf Grund seiner Leistungen und der darauf fußenden Empfehlung Ritschls ohne Promotion in Basel zum ordentlichen Professor berufen. Unstet war sein Leben, in Leipzig ist er ständig umgezogen, nirgendwo festgelegt, wie auch seine Bücher nur wenig Festpunkte bieten.

Am 7. Oktober fahren wir mit dem Rad nach Röcken in sein Geburtshaus. Dort befindet sich eine Ausstellung über diesen Don Quijote des Denkens, dessen Bücher jedem empfohlen seien, der dieser oberflächlichen, geistiglosen Spaßgesellschaft Amüsement überdrüssig ist.

Zwischenstation bei anderen großen Männern

Da der Weg nach Röcken nicht lang ist, werden wir unterwegs kurz an den Denkmalen zweier anderer großer Männer halten, die das hatten, was Nietzsches Schwester als Titel auf einen Nachlassband setzen lies, den Willen zur Macht. Im Schloß, eher ein altes Gutshaus, Altranstädt hat der Schwedenkönig Karl XII. im Winter 1706/07 im Nordischen Krieg residiert und halb Europa beherrscht. Sachsens starker August musste ihm dort huldigen (24.9.1706), auf Polens Krone verzichten, das Bündnis mit Russland beenden sowie Geld und Soldaten für den Marsch gegen Zar Peter I. stellen.

Das Zimmer im Schloß, in dem so der nächste Kriegszug gegen Russland vorbereitet wurde, heißt übrigens heute Friedenszimmer. Kurz darauf fand Karls Herrschaft bei Poltawa ihr Ende. Der Schwede war der erste der machtlüsternen Eroberer, die fortan im Abstand von reichlich 100 Jahren über Russland herzufallen versuchten und dort ihr Ende einleiteten. Der zweite Halt ist in Lützen, an der Gedenkstätte eines anderen Schweden, Gustav II. Adolf, der hier im November 1632 von Wallensteins Söldnern erschossen wurde, als er sich im Schlachtgetümmel im Nebel mit seiner Eskorte verirrte. Schweden hat aus diesen mörderischen Verirrungen gelernt. Aus den großen Schlächtereien im Europa der letzten 200 Jahre hat es sich erfolgreich herausgehalten.

Wir treffen uns zur Radtour am 7.10. 00 um 9 Uhr am KOMM-Haus Grünau. Die Route führt über Miltitz, Lindenauendorf, Priesteblich, Altranstädt, Großlehna, Lützen nach Röcken. Organisiert wird die Radtour von der Volkshochschule und vom ADFC.

Dr. Leonhard Kasek
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