Wohnen auf der Baustelle - eine Zwischenbilanz nach zwei Jahren
Grünau: Das begehrteste Leipziger Wohnviertel in den achtziger Jahren. Und heute? Ein anrüchiger Klang schwingt mit, wenn über diesen Stadtteil geredet wird. Sogar bei Nicht- Leipzigern werden mit Grünau Begriffe wie Slum, Ghetto und Elendsviertel assoziiert. Das Ansehen der Plattenbauten ist also unbestritten im Keller. Doch warum ist das so? Die Ursachen und Gründe ausführlich zu beleuchten, ist eine Herausforderung, die noch mehrere Ausgaben unseres Magazins in Anspruch nehmen könnte. Die Wohnblöcke Zschampertaue 2- 34 und an der Lautsche 2 -14 sind dafür nur ein Beispiel von vielen. Waren sie bis Ende der 90er Jahre eine gute Adresse mit zufriedenen Mietern und geringen Wohnungsleerstand, sind sie jetzt ein einziger Schandfleck. Dabei sollten sie doch umfassend saniert werden.
Mit diesem Plan jedenfalls übernahm das Dortmunder Ingenieurbüro Schulze & Partner 1996 die Häuser von der Leipziger Wohnungsbaugesellschaft Unitas. Das Unternehmen musste sich aus Geldnot von einigen ihrer attraktivsten Bestände trennen. Den Auftrag für die Sanierung erteilte Schulze & Partner den Bauunternehmen Bilfinger & Berger sowie Wiemer & Trachte. Flott begannen die Bauarbeiten im Sommer 99, doch nur wenige Wochen später endeten sie in der Zschampertaue 24-34 und an der Lautsche 2-14 abrupt. Schulze & Partner konnte seinen finanziellen Verpflichtungen an Bilfinger & Berger, die sich bereits auf mehrere Mio DM beliefen, nicht mehr nachkommen. Nur wenig später sah sich auch Wiemer & Trachte aus dem gleichen Grund gezwungen, die Arbeiten in ihrem Zuständigkeitsbereich Zschampertaue 2-22 einzustellen. Für die Dortmunder Firma Schulze & Partner wurde das Insolvenzverfahren im November 99 eröffnet.
Zurück blieben halbfertige Wohnblöcke, in den unterschiedlichsten Bauphasen, geprellte
Handwerker und sanierungsgestresste, unzufriedene Mieter. Diejenigen, die aufgrund der
Sanierungsankündigung schon ausgezogen waren, sahen sich in ihrer Entscheidung bestätigt.
Etliche andere folgten ihrem Beispiel.
Die vielen leeren Fenster unterstreichen heute nur
noch den Eindruck der Verwahrlosung. Von 363 Wohnungen sind momentan ca. 195 belegt. Mehrere
Versuche, die Bauarbeiten wieder in Gang zu bringen, scheiterten. Es war sogar »Escher vor
Ort«
. In einer großen Diskussionsrunde brachte der MDR-Moderator Ende November 99 fast alle der
involvierten Parteien in seiner letzten Live-Sendung zusammen.
Dabei sah sich Hans-Dieter Thomas von der Unitas schweren Vorwürfen der Mieter ausgesetzt
wegen des Verkaufs an eine Pleitefirma. Auch der damals zuständige Mietersprecher Peter Forbrig
prangerte massiv die Missstände an. Aber auch nützliche Hinweise gab es: Anke Matejka vom
Mieterverein Sachsen e.V. riet zu einer Herabsetzung der Miete. Die Mietminderung wurde den
Bewohnern ermöglicht, die Wohnungen fertiggestellt und die Blöcke winterfest gemacht.
Die
Negativliste ist jedoch erheblich länger. Bei vielen Mietern ist die Entlüftung im Bad nicht
installiert, Treppenaufgänge und Hausflure sind unverputzt, Klingeln und Haustüröffner
funktionieren ebenfalls nicht überall. Die größten Ärgernisse sind jedoch die Bretterwände, die
die Treppenhäuser nicht nur verunzieren, sondern auch jegliche Frischluftzufuhr verwehren und
den Ausgang zum Innenhof versperren. Nicht zu vergessen, dass bei etlichen Mietern die
Balkonbrüstungen durch provisorische Absperrgitter ersetzt wurden.
Wer nicht handwerklich geschickt war oder nicht zeitig genug reagierte, kann heute, wenn
überhaupt, nur den halben Balkon benutzen. Die anderen Betroffenen zauberten sich teilweise
abenteuerliche Konstruktionen Marke Eigenbau. Die individuelle Gestaltung der
Brüstungsabdeckungen tat ihr Übriges, um das wenig anheimelnde Gesamtbild abzurunden.
Momentan werden die Blocks noch von einer Rechtsanwaltskanzlei zwangsverwaltet. Am 10. August
sollte die Zwangsversteigerung stattfinden. Allerdings wurde der Termin auf unbestimmte Zeit
verschoben. Die Gläubigerbank, Dortmunder Sparkasse, hatte so entschieden, da noch nicht alle
der betroffenen Wohnungen zur Versteigerung freigegeben waren. Der Verkehrswert der Blöcke wird
auf knapp 22 Mio. DM (ca. 12 Mio. Euro) geschätzt.
Wie es weitergeht? Der »harte Mieterkern«
gibt die Hoffnung nicht auf, dass es
weitergeht.