Kaputt
94. Mittelschule präsentiert sich mit ungewöhnlicher Ausstellung
Als Cindy Bittner vor vier Jahren ihren ersten Arbeitstag an der 94. Mittelschule in der Miltitzer Allee antrat, da war ihr erster Gedanke: »Um
Gottes Willen - hier muss etwas geschehen«
. Kaputte Fenster, abgerissene Tapeten, Flecken an Wänden und Türen, stinkende Toiletten...
Damals war die junge Frau noch Referendarin und sah das mittlerweile beinah 30 Jahre alte Gebäude am Rande Grünaus mit ganz unvoreingenommenen Augen.
Bei Schülern und Lehrern rannte sie mit ihrem Anliegen, etwas verändern zu wollen, praktisch offene Türen ein, obwohl diese bei ihrem täglichen Gang durch
die Schule, vieles gar nicht mehr wahrnahmen. »Heute ist mir klar, wie blind ich damals durchs Haus gelaufen bin«
, bestätigt die
14-jährige Jessica Herrmann. Sie ist eine von 16 Mitgliedern der Projektgruppe »Galerie 94«
, die am 5. September in die Räumlichkeiten
der Einrichtung lud, um auf deren Zustand aufmerksam zu machen.
Mit grünen Pfeilen werden die Besucher durch das Gebäude gelotst, mit signalroten Pfeilen sind all jene Stellen markiert, die den Schülern während ihrer
einjährigen Projektarbeit aufgefallen sind. »Es ist unglaublich - anfangs haben wir kaum etwas gesehen, später kamen immer mehr Kleinigkeiten
dazu«
, erzählt die 15-jährige Susanne Deutschmann von der aufwendigen Bestandsaufnahme.
Mit Fotoapparat und Kamera ging die vorwiegend aus Mädchen bestehende Gruppe unter Anleitung von Cindy Bittner auf Spurensuche. Und das im wahrsten
Sinne des Wortes. Denn die unzähligen roten Pfeile im Gang der ersten Etage weisen auf Füße, Hände und allerlei anderes hin. »Der Vandalismus war
- abgesehen von richtig schlimmen baulichen Mängeln, eines der größten Probleme«
, so die inzwischen fest angestellte Kunstlehrerin. »Die
Kids waren derartig frustriert über den Zustand der Schule, dass sie selbst keine Veranlassung sahen, sich irgendwie für eine Verbesserung oder zumindest
für den Erhalt der Dinge zu engagieren.«
Heute achten zumindest die Teilnehmer der »Galerie 94«
darauf, dass nicht noch weitere Schandmale hinzu kommen. »Wenn wir
sehen, dass jemand etwas kaputt macht oder dreckig, dann sprechen wir denjenigen auch an - früher hätte ich das nicht gemacht«
, gibt Jennifer
Kühn zu. Sie ist 14 Jahre alt und am Tag der Ausstellungseröffnung sichtlich stolz auf das, was die Gruppe in der kurzen Zeit auf die Beine gestellt hat.
Nachdem sie den Amtsleiter für Jugend, Familie und Bildung, Dr. Siegfried Haller durchs Gebäude geführt hat, bleibt sie an einem besonders kreativen
Ausstellungsstück stehen und bittet die Gäste zur Geruchsprobe. Zu erschnüffeln gibt es den ziemlich widerlichen »Gestank vom Klo«
.
Und tatsächlich: Die Gegenprobe gleich gegenüber auf der Mädchentoilette lässt das Exponat real erscheinen. »Manchmal«
, sagt
Jennifer, »riecht es wochenlang so auf dem Flur«
. Keine schöne Vorstellung. Dass die Ausstellungsstücke derart interaktiv sind - daneben
befinden sich Bastelbögen von Schulgebäuden, die man anmalen und zusammenkleben kann, ein Fotocomic, eine Videoinstallation und Fotowände - hat der Kurs
den guten Beziehungen ihrer Lehrerin zu verdanken.
Bevor sich die »Galerie 94«
gründete, nahm sie Kontakt zu alten Bekannten von der Galerie für zeitgenössische Kunst auf und die waren
begeistert. »Ursprünglich sollten allerdings private Arbeiten der Schüler im Fokus stehen und die Schule quasi als Galerie dienen«
,
erläutert Kunstvermittlerin Lena Seik die eigentliche Projektidee. Die beteiligten Schüler wurden kurzerhand eingeladen, um sie »an andere Formen
der Ausstellung heranzuführen«
, wie es Kunstpädagogin Hermine Brietzel nennt. Bis dahin gingen die Vorstellungen der Mädchen und Jungen nur
schwerlich über die konventionelle Bilder-Ausstellung - natürlich im Rahmen - hinaus. Nun kamen sie mit Installationen, Fotografie und Videokunst in
Berührung und zeigten sich sogleich interessiert.
Als die beiden jungen Frauen gemeinsam mit der ebenfalls am Projekt beteiligten Alexandra Friedrich im Gegenzug die Schule besuchten, um nach einem
geeigneten Ausstellungsraum zu suchen, wurden sie mit den dortigen Gegebenheiten und dem Frust der Schüler konfrontiert. »Ohne zu zögern, haben
wir unser Konzept geändert und das Gebäude für sich selbst sprechen lassen«
, erinnert sich Cindy Bittner. Und es spricht eine eindeutige Sprache.
Es spricht beispielsweise von immer knapperen kommunalen Mitteln, um die nötigsten Reparaturen durchführen zu können. »Als es so schlimm geregnet
hat, stand der Gang unter Wasser, weil die Fenster nicht schließen«
, meint eine Lehrerin. »Ein einziger Sanitärbereich ist im ganzen
Gebäude neu gemacht - die Kinder können sich doch nicht den ganzen Tag verkneifen, auf Toilette zu gehen«
, sagt eine andere.
Dass die 94. Mittelschule, die übrigens zum Netzwerk der Unesco-Projekt-Schulen gehört, durch ihre innovative Idee keine Zusage für eine
Komplettsanierung seitens der Verwaltung bekommt, ist allen Verantwortlichen klar. Sie wollten auf die dringlichsten Probleme aufmerksam machen, Schülern
aufzeigen, dass sie selbst etwas für das eigene Wohlbefinden an ihrem »Arbeitsplatz«
tun können, Eltern animieren, vielleicht das
Klassenzimmer ihrer Kinder mit zu gestalten und hoffen, dass ihre Schule dadurch bald nicht mehr so »kaputt«
ist.