Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Mordshunger

Eine Mord- und Heimatgeschichte des Grünauer Autors Jürgen Leidert
Teil 20

Ostersonntag, der 1. April, war ein wunderschöner warmer Tag, nahezu alle Kinder konnten im Park hinterm Haus in einer Ecke Ostereier suchen. »Kalt, noch kälter, ja, jetzt wird es lauwarm, heiß, sehr heiß, gefunden«, so das Stimmengewirr und die anschließenden Freudenschreie.

Ich hatte, wie auch Gunter, Fondants, Bonbons, Walnüsse und bunte Ostereier gefunden. Das schönste war ein farbiges Pappei, gefüllt mit Ostergras, darin etwas Schokolade und bunte Dragees.

Sehr beglückt war auch Manns Irene. Im Park hatte deren Mutter eine Holzkiste aufgestellt, der Boden war mit Heu und Gras ausgelegt. Darin saß ein kleines Häschen, schwarzes Fell mit weißem Halskragen, »ein Holländer«, hatte ihre Mutter gesagt. »Damit du nicht mehr so traurig bist!«

»Vielen Dank, Mutti, er ist wirklich sehr süß und lieb.«, freute sich das Mädchen. Wir freuten uns mit ihr, denn nun war ihre Miene wieder aufgehellt. Als das Suchen beendet war, gingen alle in ihr Heim mit ihren Ostergaben.

Das österliche Mittagessen war vortrefflich, dank Mutters Deal mit dem Bauern. Jeder hatte ein schönes Stück Fleisch, Kartoffelpüree und Champignons. So glückliche Tage gab es lange nicht.

Der zweite Feiertag ging ebenso freudvoll weiter, wir spielten zu Hause und in Garten, Hof und Park. Auch nachts hatten keine Luftangriffe die Osterruhe gestört, das war die Ruhe vor dem letzten Sturm!

Emil Rietzschold kam gleich nach Ostern zu uns, um den Schaden am Dach von Marlas Haus zu besichtigen. Mutter hatte ihm davon berichtet. Herr Rietzschold sagte: »Ich kann den Schaden so provisorisch mit Dachpappe beheben, zumindest kann es dann nicht reinregnen!«

»Da wäre ich ihnen sehr dankbar, mein Mann wollte schon zum Fronturlaub da sein, es verzögert sich sicher. Sie können jederzeit kommen.«

»Na gut, jetzt muss ich erstmal die Kühe füttern! Auf Wiedersehen!«

Mittwoch nach Ostern hatte der Bauer Katz auf Olafs Hilfe gewartet. Er war aber nicht gekommen. Immer war nicht Verlass auf den jungen Burschen. Frau Katz hatte auch vor dem Backen eines Osterkuchens mitbekommen, dass sich der Olaf an den Mehlsäcken zu schaffen gemacht hat.

»Wenn er nur zur Arbeit gekommen wäre, dann könnte ich ihm noch verzeihen, denn Hunger haben natürlich die Kerle, wo sie dazu noch elternlos sind«, konstatierte Oskar gegenüber seiner Frau. »Ich werde Morgen rüber gehen und nachfragen, wann er seine Schulden abarbeiten will, der Drückeberger!«

Tags drauf klopfte der Bauer an Stannebeins Haustür, erst sachte, dann immer härter und rief laut: »Macht auf. Habe lange genug gewartet, nun muss mal endlich gearbeitet werden. Schließlich gibt's nichts umsonst!« Aber niemand öffnete, kein Laut war aus dem Haus zu hören. Unverrichteter Dinge ging Katz auf seinen Hof zurück.

Noch ein Tag war vergangen, Rietzschold hatte auch gehofft, das Wattel könnte ihm wieder bei der Arbeit helfen. Sein Sohn Helmut, der täglich auch in die bäuerliche Arbeit eingebunden war und nach dem Krieg ein Tierarztstudium an der Uni absolvieren wollte, hatte ein verstorbenes Ferkel seziert. Es hatte wohl den Rotlauf oder eine andere Infektion.

Helmut war es beim Aufschneiden des Schweinchens so übel geworden, dass er sich mehrmals übergeben musste, so dass sein Vater daran zweifelte, ob denn der Junge das Zeug hat, Veterinär zu werden. Helmut war zwei Tage ans Bett gefesselt und hatte sich immer wieder übergeben müssen. War es schon das Leichengift, was ihm so zusetzte?


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