Es kommt mir dauernd irgendwas dazwischen...
Porträt Hans Lauter, Teil 5
»Es hat lange gedauert, bis sie mir meine Geschichte glaubten. Dann bin ich mit der Truppe mit
zurück.«
An der Front kundschaftet er als Späher Panzersperren aus, versucht die Deutschen von der Kapitulation
zu überzeugen und bekommt dafür doppelte Brotrationen. Abgemagert, wie er nach zehn Jahren Haft ist, kann er die ganz gut
vertragen. Langsam geht es ihm auch körperlich wieder besser. Am 25. April sollte »seine«
Einheit sogar
die legendäre Begegnung mit den Amerikanern an der Elbe haben - Hans Lauter ist dabei und für ihn nimmt der Krieg mit all
seinen schrecklichen Ereignissen hier sein Ende. Er wird an die Besatzungsgruppen übergeben - die wissen über ihn, den
deutschen Kommunisten, Bescheid und wollen ihn im Kreis Bad Liebenwerda sogar als Organisator für den Neuaufbau später für
den Parteivorsitz der KPD gewinnen.
Er jedoch folgt dem Ruf seiner Heimatstadt Chemnitz und deren KPD-Kreisleitung, die ihn zurückholt und zum Sekretär für
politische Bildung ernennt. Seine im Gefängnis angeeigneten und später im Selbststudium vertieften Mathematikkenntnisse
prädestinieren ihn für die Parteiorganisation an der Technischen Hochschule. Als Hans Lauter beginnt, seine weitere
politische Laufbahn in der DDR nachzuzeichnen, hake ich nach: »Was ist mit der Vergangenheit? «
, möchte
ich wissen. Konnte er sie einfach abstreifen und zur Tagesordnung übergehen? Er stutzt, hält inne, erinnert sich. Einmal
sei etwas an ihn herangetragen worden, was ihn schmerzlich an seine Vergangenheit erinnerte: Man sagte ihm, sein Peiniger
Gestapomann Wilcke, der ihn bei seiner Verhaftung übel misshandelt hat, sei festgenommen worden. Das einstige Folteropfer
wird gefragt, ob er sich rächen will. Man könne das arrangieren.
»Ich vergreif mich nicht an wehrlosen Menschen«
, entgegnet er aber jenen unmissverständlich und nach
dreistündigem Gespräch überrascht mich diese Antwort nicht im Geringsten. Sicher hätte es auch Racheakte von Genossen
gegeben, räumt Hans Lauter ein. Aber sein Anliegen sei die Aufklärung gewesen - über das, was geschehen war. Der einstige
Jungkommunist trifft sich mit ehemaligen Kameraden - nicht alle haben das Naziregime überlebt. Viel Zeit haben sie
allerdings nicht füreinander. »Jeder war irgendwie mit anderen Dingen beschäftigt. Aber mit Einigen stehe ich noch
heute in Kontakt.«
1945 findet der gut aussende, junge Mann auch sein privates Glück. Er trifft seine spätere
Frau Gertrud Müller. Aber selbst diese Verbindung ist nicht unpolitisch. Die 21-jährige entstammt dem linken
sozialdemokratischen Flügel - ihr Vater musste während des Krieges emigrieren, ihre Mutter saß mit Hans Lauter zusammen im
Polizeigefängnis Chemnitz und kann sich noch gut an Hans, den sehr jungen Häftling erinnern. Die beiden lernen sich in der
Arbeitsgruppe zur Vereinigung von KPD und SPD kennen und lieben. »Das war sozusagen unsere ganz persönliche
Vereinigung«
, scherzt mein Gegenüber jungenhaft. Gern hätte ich seine Gertrud kennen gelernt, aber sie verstarb
vor neun Jahren. Die Erinnerung jedoch scheint sehr lebendig und lässt erahnen, wie glücklich ihre gemeinsamen Jahre
gewesen sein mochten.
1946 heiratet das Paar und zieht zusammen, ein Jahr später kommt ihre Tochter Käthe zur Welt und für Hans Lauter, der
bereits stellvertretender Abteilungsleiter des SED-Landesvorstandes Sachsen ist, beginnt ein zweijähriges Studium an der
Parteihochschule. 1950 wird sein Sohn Gerhard geboren und er ist mit gerade einmal 36 Jahren Mitglied des ZK's der
SED - verantwortlich für Wissenschaft und Kultur. Dort hat er nicht nur Freunde, wie er bald feststellen muss. Drei Jahre
bleibt er in Berlin, bis er all seiner Ämter enthoben wird. Der Vorwurf: Er habe damals seine Genossen an die Gestapo
verraten. Die Vergangenheit holt ihn ein. Hans Lauter ist enttäuscht und man merkt es ihm noch heute an, wenn er darüber
spricht. Abermals führt ihn sein Weg nach Leipzig, wo er am Franz- Mehring-Institut der KMU doziert. Es dauert bis 1956 bis
er vollständig vom Vorwurf des Verrats entlastet und rehabilitiert ist. Inzwischen freut sich die kleine Familie über den
letzten »Neuzugang«
. Nesthäkchen Ilse erblickt als jüngstes der drei Geschwister 1954 das Licht der
Welt.
1958 wird ihr Vater Bezirkstagsabgeordneter und bleibt bis 1969 Sekretär für Kultur und Agitation der SED- Bezirksleitung. Auch diese Zeit ist nicht spurlos an dem überzeugten Kommunisten und aktiven Antifaschisten vorübergegangen. Hans Lauter redet nicht gern darüber, zu oft wurden ihm die Worte im Mund herumgedreht und seine Geschichte verfälscht. Der Vorwurf, er habe 1968 die Sprengung der Universitätskirche vorbereitet, mach ihn traurig. Denn er habe stattdessen Bedenken vorgebracht und daraufhin keine Zukunft mehr in Leipzig gehabt. Die Familie kehrt in die Heimat von Hans Lauter zurück - nach Karl- Marx-Stadt.
1974 wird er als ordentlicher Professor für marxistisch-leninistisches Grundlagenstudium an die dortige Hochschule berufen. Im selben Jahr wird er auch Vorsitzender des Stadtkomitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer. Er vertieft sich in die Pflege der antifaschistischen Tradition - über die Wende im Herbst 1989 hinaus, verfolgt er damit seine hauptsächliche politische Konzeption - bis heute. So sitzt er im Landesvorstand des VVN Sachsen, fährt zweimal im Jahr nach Esterwegen - an den Ort, wo er so viel Leid erdulden musste. Trotz der umfassenden Aufarbeitung der Geschichte und seines eigenen Schicksals, um die er sich beinah unermüdlich bemüht, hat er die heutige Jugend im Blick, analysiert aufkommenden Rechtsradikalismus, versucht jungen Menschen während Schulprojekten seine Sicht der Dinge zu vermitteln.
Sichtlich erleichtert über den Themenwechsel ins Jetzt und Hier, lockern sich die angespannten Gesichtszüge des Mannes,
dem ich nun schon seit einiger Zeit gegenüber sitze. Er spricht davon, wie stolz er auf seine Kinder ist, die allesamt in
die politischen Fußstapfen des Vaters getreten sind. »Ein schönes Gefühl«
, sagt er und beinah habe ich
den Eindruck, als kämen ihm die Tränen. Einen Lebensbericht würde er gerne schreiben, aber: »Es kommt mir dauernd
irgendwas dazwischen«
, lacht der 93-Jährige und ich weiß, was er damit meint.