Grün-As
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»Die Mädels bewunderten uns...«

Teil 1 des »Grün-As«-Portraits über Prof. Dr. Hans Lauter

30. April 2007: Am Völkerschlachtdenkmal haben sich wie in jedem Jahr Tausende Menschen versammelt, um bei guter Musik in den Mai hineinzufeiern und darüber hinaus ein Zeichen für Toleranz und Demokratie zu setzen. Auf der Bühne erscheint der Liedermacher Hannes Wader - neben ihm ein kleiner Mann, hoch betagt. Ein Murmeln erfasst die Menge - »Wer ist das?«, fragen sich viele der zumeist jungen Leute. Die beiden Männer im Scheinwerferlicht stimmen eine Melodie an - den Text kennt jeder der in der DDR aufgewachsen ist. Es ist das Lied der Moorsoldaten. Der kleine, alte Mann ist Hans Lauter - der letzte Moorsoldat Leipzigs.

Gut ein Jahr später sitze ich Hans Lauter ein wenig verlegen auf der Couch im Wohnzimmer gegenüber und entsinne mich der Gänsehaut, die mir über den Rücken glitt, als dieses Meer von Menschen ein längst vergessen geglaubtes Lied mitsang und den Moorsoldat mit seinen lustigen Augen und dem weißen Haar gar nicht mehr von der Bühne lassen wollte, sondern ihn viel mehr mit frenetischem Beifall bedachte. Nun mustert mich der 93-Jährige erwartungsvoll - ich bin mir sicher, dass er meine Unsicherheit bemerkt hat. Die Rückkopplung in seinem Hörgerät fiebt, als er es einschaltet - und weil er spürt, dass ich nicht recht weiß, wo ich anfangen soll, beginnt er von seinem ereignisreichen, langen Leben zu erzählen.

Bild Als ältestes Kind von dreien wird er am 22. Dezember 1914 in Adelsberg, dem heutigen Niederhermersdorf bei Chemnitz geboren. Vier Jahre lang geht er dort auch zur Schule, bis die Familie 1924 nach Chemnitz zieht. Dort besucht er weitere vier Jahre die Humboldt-Schule im Stadtteil Gablenz. Seine Eltern - der Vater Maschinenformer, die Mutter Krankenpflegerin und aktives Gewerkschaftsmitglied - haben Mühe die 5-köpfige Familie zu ernähren und so ist es für den damals 13-Jährigen eine Selbstverständlichkeit, nach der Schule noch fünf Stunden als Aushilfe in einer Tischlerei zu arbeiten. »Ich habe dort gut verdient«, erinnert er sich, »und alles bis auf eine Mark zu Hause abgegeben.« Wirklich alles? »Naja - manchmal gab es auch Trinkgeld - das habe ich behalten«, lacht Hans Lauter verschmitzt und ich kann mir in diesem Moment sehr gut vorstellen, welch Lausbub er trotz seines früh entwickelten Verantwortungsbewusstseins gewesen sein mag.

Sehr geschickt hätte er sich dabei angestellt, so geschickt, dass ihn der Meister den Lehrlingen vorzog und unbedingt behalten wollte. Der junge Hans hätte gern studiert, aber das war ihm zu diesem Zeitpunkt nicht vergönnt und so entscheidet er sich für eine Ausbildung zum Glasschleifer. »Die Stelle war in der Zeitung ausgeschrieben. Zunächst wusste ich gar nicht was das ist, dann aber habe ich aus rein praktischen Überlegungen diese Lehre begonnen. Ich dachte: 'Je seltener der Beruf, desto besser sind später meine Chancen'. Lehrstellen und Arbeitsplatzmangel gab es damals schon.« Die spärliche Freizeit jedoch füllt er seit dem elften Lebensjahr mit Sport aus. Aktiv im Arbeiter Turn- und Sportbund (ATSB) versucht er sich gleich in mehreren Disziplinen - als Torwart beim Fußball, im in Vergessenheit geratenen Raffball, beim Turnen und Ski springen. Letztere ist mit besonderen Erinnerungen verbunden: »Früher gab es ja keine Sommerschanzen - unser Training verlagerten wir daher kurzerhand ins Schwimmbad. Bei den Sprüngen vom 10-Meter-Turm machten wir Skispringer natürlich eine gute Figur und die Mädels bewunderten uns«, erzählt Hans Lauter von den Freuden seiner Jugend. »Komisch«, denke ich, »dass sich einige Dinge nie ändern ...«

Bild Im ATSB trainiert der sportbegeisterte junge Mann jedoch nicht nur seinen Körper. Von den Eltern eher unpolitisch erzogen, kommt der Arbeitersohn in den Reihen der Freien Turnerschaft mit kommunistischen Ideen in Berührung - eine Erfahrung, die ihn Zeit seines Lebens nicht mehr loslassen sollte. »Chemnitz-Gablenz war ein roter Stadtteil - das so genannte Fundament der SPD. Viele der älteren Sportler waren in SPD und KPD sehr aktiv. Sie haben uns Kinder beeinflusst. Schließlich waren sie ja auch unsere Vorbilder.« Für Hans Lauter steht schnell fest, dass auch er sich engagieren möchte. Ab 1930 wird er Jugendleiter beim Sportbund und ist Mitglied im KJVD - dem kommunistischen Jugendverband Deutschlands. »Ich bin aber nicht nur blind irgendwelchen Ideologien gefolgt«, beantwortet er meine stumme Frage nach dem Grund für seine kommunistische Grundeinstellung. »Meine Überzeugung hatte Fundamente.« Als Beispiel erwähnt er die scheinbare Unabhängigkeit der jungen Sowjetunion von der weltweiten Wirtschaft. »Als die in die Krise geriet, war die SU nicht davon betroffen. Der Sozialismus - so war damals die Botschaft - kennt keine Krisen.«

Klaudia Naceur>

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