»Ich vergreif mich nicht an wehrlosen Menschen ...«
»Grün-As«
-Portrait: Prof. Dr. Hans Lauter (3)
Hans Lauter, der letzte Moorsoldat Leipzigs, kann auf ein langes, bewegtes Leben zurückschauen. Geboren 1914 im sächsischen Niederhermersdorf bei Chemnitz, musste er früh Verantwortung übernehmen. Geprägt von jugendlichen Vorbildern aus dem Arbeiter Turn- und Sportbund (ATSB), wurde er 1930 Mitglied im KJVD - dem kommunistischen Jugendverband. Als sich die politische Situation in Deutschland ab 1933 zuspitzt, geht Lauter 19-jährig mit seiner Gruppe in den Untergrund, nimmt in Moskau an einem Kongress zur Auswertung illegaler Tätigkeiten teil, wird anschließend steckbrieflich gesucht und flüchtet nach Leipzig. Eine zweite Reise in die SU ist geplant. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen - Teil 3 des Portraits über einen ungewöhnlichen Mann.
... Noch immer sitze ich Hans Lauter in seinem Wohnzimmer gegenüber. Zwei Stunden sind wie im Flug vergangen. Aus meiner
anfänglichen Verlegenheit ist pure Neugier und Spannung geworden. Gebannt lausche ich dem Fortgang der Geschichte:
»Bei meiner Verhaftung eine Woche vor der Abreise nach Moskau hatte ich den falschen Pass schon in der
Tasche«
, erzählt mir der 93-Jährige - auch er nun sichtlich aufgewühlt. Denn was nun folgt sind Erinnerungen an
die schlimmsten zehn Jahre seines Lebens.
Das Datum der Festnahme ist wie fest gebrannt in seinem Gedächtnis. Es ist der 28. Mai 1935. Wurde er denunziert?
»Verraten«
, korrigiert mich Hans Lauter und während ich noch über den Unterschied nachgrüble, erklärt er
ihn mir: »Meine Vorgesetzte Lena Fischer wurde in eine Falle gelockt. Sie hatte einen so genannten Danziger Pass,
konnte damit die ganze Welt bereisen und war darum so eine Art Verbindungsfrau. Lena fuhr also nach Prag, bekam eine
Deckadresse in Dresden, bei der sie sich melden musste und wusste nicht, dass die Leute, die sie dort eigentlich treffen
soll, längst aufgeflogen waren. Stattdessen stand sie wenig später der Gestapo gegenüber und gab nichtsahnend Informationen
weiter auch über mich.«
Später sei ihr das mal vorgeworfen worden. Sie hätte vorsichtiger sein müssen. Der »Verratene«
selbst
hegt keinen Groll: »Das hätte jedem passieren können«
, wischt er solche Gedanken beiseite. Im
Polizeigefängnis Wächterstraße ist der 20-jährige junge Mann schlimmsten körperlichen Misshandlungen ausgesetzt - verraten
hat er nichts und niemanden: »Die Gestapo wollte natürlich Namen von mir hören. Ich habe ihnen frei erfundene
genannt oder die von Genossen, welche bereits verhaftet waren.«
Seine Unbeugsamkeit und die Tatsache, dass er
auch während des Prozesses gegen ihn und weitere sechs Angeklagte nicht geständig ist, bringen ihm zehn Jahre Zuchthaus mit
anschließender Sicherheitsverwahrung wegen »Vorbereitung zum Hochverrat unter erschwerenden Umständen«
ein. »Damit war mein Schicksal eigentlich besiegelt. Ich wäre nie wieder frei gekommen«
, resümiert der
Mann mit den wachen, lustigen Augen und scheint dabei jenen Moment der Urteilsverkündung in diesem Augenblick noch einmal
zu erleben.
Die ersten drei Jahre seiner Haft sitzt er im berüchtigten Waldheimer Zuchthaus ab. »Zellenhaft - das war
schrecklich. In einer Zelle waren immer zwei Häftlinge - ein Politischer und ein Krimineller. Zunächst war ich mit einem
Mörder eingesperrt.«
Später jedoch hat Hans Lauter Glück beider Zuteilung eines neuen Zellengenossen. Ein Lächeln
findet den Weg zurück in sein ernst gewordenes Gesicht, als er erzählt, wie ihm sein neuer Leidensgefährte - ein
Geldfälscher - Mathematikunterricht in der Zelle erteilt. »Er war der beste Mathelehrer, den ich je hatte und
rückblickend verdanke ich ihm viel.«
So hart das Überleben in Waldheim auch war, es sollte noch schlimmer für den jungen Kommunisten kommen. Die Verlegung in
die so genannten Emslandlager. Hans Lauter wird Moorsoldat. Warum er dorthin kam, kann er nur vermuten: »Die
Gründe kenne ich nicht. Ich nehme aber an, dass alle halbwegs gesunden Männer für die Arbeiten im Moor herangezogen
wurden.«
Der bereits zu diesem Zeitpunkt von der Haft gezeichnete 24-Jährige, durchläuft drei von insgesamt 15
Moorlagern; Walchum, Esterwegen und schließlich Aschendorfermoor. Esterwegen sei das schlimmste Lager gewesen. In ihm war
auch Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky eingesperrt und verstarb an dessen Haftfolgen im selben Jahr, als Hans
Lauter ins Emsland kam - 1938.