Wir sind dabei
Eine Städtebau-Reportage in Wort und Bild
Endlich: Die ersten großen Ferien des Söhnchens stehen an. Wir kaufen einen Ferienpass, stöbern im dicken Programm-Heft und entdecken das zweiwöchige Projekt »Stadt in der Stadt« vom Haus Steinstraße, welches in diesem Jahr wunderbarerweise im Robert-Koch-Park Station macht.
Kinder zwischen sieben und zwölf Jahren bauen ihre eigene Stadt, sind Architekten, Bauherren, Handwerker und Bewohner in einem, regeln ihren Alltag wie die Großen. Angeleitet von freiwilligen Helfern. Mama, Papa, Horterzieher – sie alle haben mal nix zu sagen. Das klingt toll.
Am ersten Ferienmittwoch stehen wir pünktlich 10 Uhr auf der großen Wiese am Parkschloss und sind zunächst geplättet: Die Bauarbeiten an den später recht imposanten »Hochhäusern« haben bereits begonnen. Auf dem Rasen tummelt sich eine große Kinderschar – weitere Gruppen sind im Anmarsch. Zwischendrin ein paar Erwachsene – gut erkennbar an blauen (Helfer) und roten (Orga-Team) Shirts. Beeindruckt durch das Gewusel gehen wir zur Anmeldung, zahlen unseren 2-Euro-Obulus und bekommen von Ludwig unser Namensschild verpasst.
Ich bin voller Tatendrang, das Söhnchen noch ein wenig zögerlich. Lieber möchte er erst einmal Dorthea Alder lauschen, die im zauberhaften Schlossfoyer ihre Märchen erzählt. Eine Stunde später – mir kribbelt es in den Fingern – schüttet es wie aus Eimern. Der sintflutartige Regen verhindert nicht nur unser hehres Bauvorhaben, sondern stellt auch die Organisatoren vor ein Problem: Denn eigentlich sollen nun Kinder einer Tanz- und Orchestergruppe aus dem chinesischen Nanjing auftreten, die derzeit auf Europa-Tournee sind und sich in der Kinderstadt präsentieren möchten. Hektisches Umdenken und -bauen. Alles wird in den Festsaal verlegt und 100 Kids lauschen unter herrlichen Kronenleuchtern asiatischen Klängen. Echt schön.
Aber aus dem Werkeln wird an dem Tag nichts mehr. Sicherheit geht vor. Ein wenig enttäuscht treten wir den Heimweg an. Nach genau einer Woche stehen wir erneut auf dem Platz und sind erstaunt. Die Häuser sind beträchtlich gewachsen, sowohl die Anzahl als auch deren Höhe. Wir drehen eine Runde, entdecken die Villa Kunterbunt (mit einer tollen Rutsche), Kneipe, Polizei, Stadion (das Söhnchen juchzt), Uniriese, Kaffee, Hotel, Spaßhaus, Stromtower und vieles mehr. Kreativ und mit viel Liebe zum Detail gestaltet, ausgetüftelt und allesamt barrierefrei – Inklusion und Integration sind Hauptanliegen des Projektes. So wird kein Kind ausgeschlossen, Leipzig-Pass-Inhaber dürfen komplett kostenlos teilnehmen und bekommen ihr Mittagessen quasi geschenkt. Auffallend viele Helfer haben einen Migrationshintergrund. Ein gewolltes und gelebtes Miteinander.
Mittlerweile hat die Stadt sogar schon einen Namen: Holzhausen. Und Regeln, die auf der Kinderkonferenz festgelegt wurden: Keine Gewalt, respektvoller Umgang, Handyverbot, Nichts der Anderen zerstören, wegnehmen oder abbauen, um nur einige zu nennen. Kurzerhand schalte ich das Handy aus. Das Söhnchen und ich stehen in einer »Baulücke«, haben uns am Bauhof mit Material (Palette, Nägel, Kanthölzer, Säge und Akkuschrauber) versorgt, fünf Stunden Zeit und ein Ziel vor Augen: Eine Hundehütte soll es werden. Schnell komme ich an meine handwerklichen Grenzen. Wenn Papa nicht helfen würde, sähe es schlecht aus mit unseren Plänen. Als ich endlich weiß, wie es geht, wird es routiniert. Holz bestellen, zurechtsägen, anschrauben. Die Sonne brennt. Wir kommen ins Schwitzen, können uns aber am Versorgungszelt laben. Obst und Getränke für Umme.
In der einstündigen Mittagspause, in der nicht gearbeitet werden darf, unterhalte ich mich mit der Initiatorin der Kinderstadt Ulrike Bernard. Sie ist begeistert von dem besonderen Ort. Das zwölfte Mal bietet die soziokulturelle Einrichtung »Haus Steinstraße« dieses Projekt an – im Zweijahresrhythmus an wechselnden Orten. Hier sei es so fantastisch. Sie könne gar nicht verstehen, warum einige Horte von einer Teilnahme abgesehen haben, weil es dieses Jahr in Grünau stattfindet. Dieses Stigma, so Bernard resolut, müsse man endlich beseitigen. Wie Recht sie hat. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass die Grünauer Einrichtungen bis auf zwei, trotz wiederholter persönlicher Einladung und Vorzugsanmelderecht offenbar kein Interesse an diesem tollen Ferienangebot hatten. Individuelle Besuche von Kindern aus der Umgebung sind ebenfalls spärlich.
Stattdessen sind unter den gut 200 Kids, die sich hier täglich austoben, Mädchen und Jungen aus ganz Leipzig und sogar aus dem Umland. Wie Ludovica und Magnus aus Gohlis, die sich kurz vor Fertigstellung des Mini-Häuschens zu uns gesellen und mit anpacken. Und sie sind nicht die einzigen, die Tipps geben oder tatkräftig helfen. Am Ende sind wir umringt von Zuschauern und Ratgebern. Denn die Tür-Montage stellt uns vor eine echte Herausforderung. Aber auch das wird gemeistert. Fünf schweißtreibende Stunden, drei Blasen, zwei Schnitte, hundert Schrauben, zwanzig Bretter, drei Schrauber-Akkus hat es gebraucht und die Hütte steht.
Wir sind so stolz, dass wir sie gleich kaufen und zu Hause im Hof aufstellen wollen. Auch die Kneipe, die Villa Kunterbunt und der Hochgarten finden ihre Liebhaber. Der Rest wird von den rund 120 Helfern nach dem großen Abschlussfest demontiert und kommt zurück ins Materiallager. Bis daraus im nächsten Jahr wieder in Grünau eine wundervolle Stadt entsteht. Wir sind dabei.
Klaudia Naceur