»Nicht wirklich gewollt«
Die Agendagruppe Grünau hat ihre Arbeit eingestellt
Nach 21 Jahren Tätigkeit hat die Agendagruppe Grünau ihre Arbeit eingestellt, nicht aus Protest, nicht aus Resignation, sondern, wie Evelin Müller sagt, infolge eines sachlichen Abwägungsprozesses und der daraus resultierenden Erkenntnis, dass »Bürgerbeteiligung, wie wir sie praktizieren, nicht wirklich gewollt ist«.
Die informelle Gruppe hatte sich aus einem gemeinsamen Interesse am Stadtteil im April 1997 zusammengefunden. Angeregt von Klaus Hinze vom Amt für Wohnungswesen trafen sich unter anderem die Engagierten wieder, die bereits 1996 aktiv an den Feierlichkeiten zu »20 Jahren Grünau« mitgewirkt hatten. »Zu der Zeit waren die Bürger so stark gewesen, dass sie die Stadt von ihrem Mitwirken überzeugen konnten«, erinnert sich Evelin Müller.
Auch zuvor habe es Engagement von unten gegeben, im Rahmen des von der Volkshochschule ins Leben gerufenen Stammtisches Grünau, selbst organisiert ohne extern bezahlte Moderatoren, Planungsbüros et cetera. Ein Ergebnis davon war 1995 die Gründung einer Stadtteilzeitung (Vorläufer des »Grün-As«).
Heute stehe statt der Sacharbeit vielfach die Selbstdarstellung im Mittelpunkt, was allgemein und somit auch für Grünau gelte. Statt bewährte Strukturen zu nutzen, wurden neue Gremien wie der Quartiersrat geschaffen, der angeblich effektiver arbeite als beispielsweise vorhandene Akteursgruppen.
Die Agendagruppe machte sich unter anderem unter dem Slogan »Städtisch wohnen – naturnah leben in Grünau« fundierte Gedanken zum Stadtteilprofil: Was funktioniert? Worauf kann man aufbauen – aus der eigenen Geschichte und dem eigenen Potenzial heraus? Was ist das Eigene, das Grünau-Spezifische? Wo bieten sich Möglichkeiten für ökologische, energetische und soziale Verbesserungen? Hierbei spielte die enge Zusammenarbeit mit der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (Prof. Meier-Miehtke und dessen Studenten) eine große Rolle. Quartiersmanagement und -rat arbeiteten parallel dazu. Heraus kam dann eine Broschüre im Slang von Werbeagenturen.
Evelin Müller und ihre Mitstreiter fühlen sich von der Stadtverwaltung nicht mehr ernst genommen. Sie hatten sich hinsichtlich der Probleme im Stadtteil Ende 2016 an Oberbürgermeister Burkhard Jung gewandt und sinngemäß zur Antwort bekommen: Das, was ihr da aufführt, ist alles bekannt, die Stadt hat alles im Griff. »Wozu sollen wir uns dann noch im Ehrenamt engagieren?«, fragen sie sich.
Das Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW) zog sich sukzessive aus Grünau zurück, es hatte einst eine Außenstelle im Ratzelbogen. Birgit Seeberger vom ASW wirkte noch aktiv in der Koordinierungsgruppe »30 Jahre Grünau« mit, und fast 20 Jahre war der Stadtteilladen unter Leitung der ASW-Mitarbeiterin Benita Ruschitzki für die Bürger vor Ort offen. Das Kulturamt gibt seine Einrichtung KOMM-Haus an einen freien Träger weiter – womit ein weiteres Mal der Eindruck entsteht, dass sich die Verwaltung der Verantwortung für den Erhalt der sozialen Stabilität in Grünau entzieht, Signale, die von den Engagierten als Desinteresse seitens der Stadt gewertet werden.
Vieles laufe nur noch über Projekte, die erst großartig aus dem Boden gestampft werden, dann aber kurz- oder mittelfristig wieder verschwinden. Sobald nämlich die Projekt- und Förderzeiträume auslaufen, lösen sich solche künstlich herbeigeführten Strukturen in Luft auf. »Wenn's kein Geld mehr gibt, sind die Leute weg!« Ein generelles Problem und überhaupt nicht nachhaltig im Sinne der »Agenda 21« (siehe Kasten).
Im Zusammenhang mit dem Jubiläum »40 Jahre Grünau« wurde von der Agendagruppe gemeinsam mit vielen Stadtteilakteuren (leider mit nur geringer Unterstützung der Stadt) eine Festwoche organisiert – mit Festveranstaltung und Festrede des OBM, mit einem Umzug des Theaters Titanick mit dem »Grünauer Bachkopf«, mit einem Kinder- und Familienfest. Ein neues Logo für Grünau wurde entwickelt und professionell gestaltet (auf Basis der den öffentlichen Raum prägenden Plastik in der Stuttgarter Allee) und dazu der Slogan »Grünau – Ein Stadtteil, der verbindet« kreiert. Dieses mit Ortsbezug und Hintergrundwissen versehene Werkzeug für Öffentlichkeitsarbeit wurde allen Akteuren zur freien Verfügung gestellt. Doch leider grenzt sich manch ein Akteur durch Eigenkreationen bewusst ab.
Evelin Müller sieht neben dem Nebeneinander der Strukturen auch ein gewisses Gegeneinander. Die gesellschaftliche Entwicklung habe dazu geführt, dass jeder für sich allein kämpft und zusieht, wie er sich und sein Projekt entsprechend etabliert. »Jeder kämpft um Fördermittel.« Da bleiben sachorientierte Arbeit und vertrauensvolles Miteinander schon mal schmerzlich auf der Strecke.
Die lokale Agendagruppe Grünau bezog ihre Stärke nicht aus Gesetzen und Verordnungen, sondern aus der Kraft des Informellen, des Ungebundenen und des Experimentellen. Querdenken und Beziehungen quer durch die bestehenden Regelkreise zu knüpfen, waren ihr Lebenselixier. In diesem Sinne möchte die Agendagruppe heute schon darauf hinweisen, dass sie am 26. Oktober im KOMM-Haus im Rahmen des Jubiläums »25 Jahre Volkshochschule in Grünau« eine Rückschau auf ihre Arbeit präsentieren wird.
Bert Hähne