Bekannt und dennoch geheim
Zehn Jahre Kolonnadengarten
Der Kolonnadengarten in der Mannheimer Straße (Ecke Alte Salzstraße) gehört zu »Leipzigs geheimen Gärten«. So jedenfalls sieht das ein 2018 im Jaron Verlag erschienenes Buch dieses Namens, welches die »60 schönsten grünen Oasen« unserer Stadt vorstellt. Gert Kunz, der zu den Aktiven vor Ort zählt, staunte nicht schlecht, gibt es den Kolonnadengarten doch bereits seit 2008. Den Mietern rundherum ist das hübsche Stückchen Grün auch wohlbekannt, doch außerhalb des Wohnkomplexes 4 wissen tatsächlich die wenigsten davon. Gert Kunz wird immer wieder Zeuge, wie selbst Grünauer den Kolonnadengarten staunend »entdecken«.
Der 72-Jährige wohnt seit 1980 im Stadtteil, war vorher in der Sternwartenstraße zu Hause und bis zu seinem Wechsel ins Rentnerleben technischer Angestellter in der Tierklinik nahe der Deutschen Bücherei. Den Kolonnadengarten hat er vor zehn Jahren miteingeweiht, »nach fast zweijähriger Vorbereitungszeit«, wie er sich erinnert. Einst habe hier ein Sechsgeschosser gestanden, nach dessen Abriss die Fläche lange brach lag. Dann aber wollte die Stadt den WK 4 wieder aufwerten, im Rahmen eines vom Bundesbauministerium geförderten Projekts. Die Genossenschaft Pro Leipzig bewarb sich. Zuerst wurden Kleingärten geplant, die Anwohner jedoch wollten lieber eine öffentlich und gemeinschaftlich nutzbare Ruhezone und brachten ihre Vorstellungen zu Papier. Aus den Übereinstimmungen konzipierte die Gartenarchitektin Susanne Schnorbusch den Kolonnadengarten.
Gert Kunz lobt die »sehr gute Zusammenarbeit« und räumt ein, dass es die Frau »nicht leicht mit uns gehabt« hätte. Bauingenieure, Konstrukteure, Leute mit jahrzehntelanger Garten- und Lebenserfahrung diskutierten seinerzeit mit ihr die »Reibungspunkte«, um schließlich zu einem guten Ergebnis für alle zu kommen. »Wir vertragen uns heute noch!«
Angenommen wird der Garten von Anbeginn sehr gut, Kinder schauen jeden Tag nach dem Karpfen im großen und klaren Goldfischteich, Leute aus der Umgebung erfreuen sich an den Blumen, der Duftschlucht und dem Dornröschenhain oder sitzen im Schatten der schönen Pergola. Manch einer bewirtschaftet sein eigenes Beet, auch Gemüse wird angebaut.
Am Anfang, so Gert Kunz, habe man überlegt, wie stark und hoch die Fläche eingezäunt werden solle. Heute wird zwar jeden Tag früh um acht auf- und abends um neun wieder zugeschlossen, allerdings eher symbolisch, denn die niedrigen Begrenzungen, auf die man sich zuguterletzt geeinigt hatte, könnten an vielen Stellen einfach überwunden werden. Dennoch sei nichts passiert, die Bewohner der Blöcke rundherum haben ein Auge auf ihr Schmuckstück.
Im Laufe der vergangenen zehn Jahre änderte sich die Bepflanzung etwas, das Grundprinzip der An lage aber ist erhalten geblieben. Eine Kiesfläche am Teich wurde in Wiese gewandelt, da nicht nur Kinder aus einem scheinbar angeborenen Reflex heraus herumliegende Steine ins Wasser werfen »müssen«. Die Brücke, das Entenhaus und ein Geräteschuppen kamen hinzu sowie »Unterkünfte« für Insekten. Demnächst sollen die blind gewordenen Plexiglasscheiben an der Gemeinschaftslaube, dem Gartenhaus, ausgetauscht werden »Mal sehen, ob wir das noch hinkriegen bis zum 15. September«, schaut Gert Kunz voraus.
Am 15. September nämlich wird das zehnjährige Bestehen des Kolonnadengartens gefeiert, mit allen Beteiligten. Parallel dazu und an Ort und Stelle begeht die Wohnungsgenossenschaft Pro Leipzig ihr 20-Jähriges – als Garten- und Mieterfest mit Gästen bis hin aus Döbeln. Gert Kunz freut sich über die großzügige Unterstützung seitens dieser Genossenschaft sowie über die Gruppe von Enthusiasten, welche, angeführt von einem Beirat, die Blumen, Bäume und Bänke pflegt.
Jeden Monat gebe es hier eine Beratung und aller zwei, drei Monate auch eine Veranstaltung, wie den Tag der offenen Gartenpforte, das Muttertagskonzert oder das Adventssingen. Außerdem existiert neben dem großen allgemeinen Teil ein Abschnitt mit Mietergärten für all jene, denen der Balkon zu klein geworden ist. Wer mitpflanzen und -ackern möchte, muss übrigens nicht von Pro Leipzig sein.
Kindergärten, Schulen und Pflegeheime unternehmen Ausflüge in die Oase an der Mannheimer Straße, schleppen zum Teil Picknickkörbe mit. Stadtplaner und Studenten kommen auf Exkursion, schauen und machen Notizen. Voriges Jahr wurden Kunz & Co. sogar nach Essen eingeladen, um einen Vortrag über ihre Erfolgsgeschichte zu halten. Der gelassene Gärtner wundert sich heute noch darüber und sagt: »Wir haben es gar nicht darauf angelegt, so bekannt zu werden.« Bekannt und dennoch geheim...
Bert Hähne