Die Rautenbergs
Von unbequemen zu glücklichen Mietern
Wenn Maria und Stefan Rautenberg die Weißdornstraße entlanggehen, dann erinnern sie nur noch zwei
Birken daran, dass hier vor nicht allzu langer Zeit noch ein Haus stand. Und zwar nicht irgendeins,
sondern ihr Hochhaus, in dem sie acht Jahre gelebt und sich wohl gefühlt haben. »Die Bäume
«
, meint der 70-jährige Rentner nicht ohne Stolz, »die habe ich selbst gepflanzt,
als wir 1994 hier eingezogen waren.«
Ein wenig Wehmut schwingt noch immer mit, wenn die
beiden von der tollen Hausgemeinschaft und der atemberaubenden Aussicht aus ihrem Fenster in der 12.
Etage erzählen. »Nordseite«
, sagt Stefan Rautenberg. »Da konnte man bis in
die Stadt schauen und am anderen Fenster der Blick zu den Schönauer Lachen.«
»Dort habe ich im Herbst immer Vögel beobachtet«
, erinnert sich seine Frau und
deutet auf die vor ihr liegenden Fotos. »Manchmal«
, ergänzt sie ein wenig
verschmitzt, »habe ich mir auch das Fernglas geschnappt und an der Anzeige der Haltestelle vor
dem Haus geschaut, wann der nächste Bus kommt. Das war ungeheuer praktisch.«
Sie wären gerne geblieben in ihrem Hochhaus. »Es sollte ja ursprünglich auch gar nicht
abgerissen werden, aber dann wurde immer mehr gemunkelt, dass es doch wegkommt und schließlich
erhielten wir einen Brief von der LWB.«
Ein Schock für die Rautenbergs. »Ich war
ganz weiß im Gesicht«
, kommentiert Maria Rautenberg die Situation, als sie vom geplanten
Abriss erfuhr.
Schon einmal mussten sie ihr Zuhause verlassen. Bevor das Paar nach Grünau zog, wohnten
sie 30 Jahre in Plagwitz, hatten sich damit abgefunden, keine Neubauwohnung bekommen zu haben und viel
Geld und Mühe in ihr Heim investiert. Irgendwann brach das marode Gebäude jedoch buchstäblich in sich
zusammen - Rautenbergs bezogen ihre lang ersehnte Zweizimmerwohnung in der Weißdornstraße 100.
»Kaum richtig eingelebt und Freundschaften geschlossen, sollten wir nun wieder umziehen. Das
wollten wir auf jeden Fall verhindern«
, so der 70-Jährige.
Die Mieter taten sich zusammen, schrieben Briefe an die LWB und die Stadt, sogar an den
Oberbürgermeister, sammelten Unterschriften, machten Vorschläge, wie ihr Hochhaus gerettet werden
könnte und hofften noch immer, bleiben zu dürfen. Die Antwortschreiben hat Maria Rautenberg alle
abgeheftet. Heute lächeln sie, wenn sie den dicken Ordner durchblättern. Damals war ihnen jedoch eher
zum Heulen zumute. Denn irgendwann kam für alle die Einsicht, dass sie sich fügen mussten.
»Mehrere Alternativen wurden uns angeboten, unter anderem die zusammengelegten Zweiraumwohnungen
im Titaniaweg, sogar zum Adler hätten wir ziehen können und alles bezahlt bekommen.«
Doch Stefan Rautenberg - ein ausgemachter Hochhausfan - lehnte ab. Er wollte wieder in ein PH 16.
»Da ist einfach mehr Leben in so einem Haus - so viele Leute auf einem Fleck, mit denen man
auskommen muss. Und irgendwie klappt das auch immer«
, schwärmt der hochgewachsene Mann vom
Wohnen im 16-Geschosser. Zudem seien die Räume auch schöner geschnitten als in anderen Gebäudetypen.
Maria, die lieber zum Adler gezogen wäre, gab dem Wunsch ihres Mannes schließlich nach und bald darauf
wurde eine Wohnung im Hochhaus, Stuttgarter Allee 17 frei. Bevor sie jedoch ihr neues Domizil in
Beschlag nehmen konnten, galt es noch einige Dinge zu regeln. »Mit den Mitarbeitern der LWB
konnte man wirklich reden, die haben uns praktisch jeden Wunsch erfüllt - auch wenn wir sicher nicht
die bequemsten Mieter waren. Aber mein Motto war damals: ’Wir wollten nicht raus, sondern
sollten’ und so fühlten wir uns auch im Recht, bestimmte Leistungen einzufordern«
,
lacht der resolute Rentner und erinnert sich an eine Nachbarin, die noch viel weiter ging als die
Rautenbergs.
Und zwar soweit, dass Geschäftsstellenleiter Klaus Hochtritt höchstpersönlich Löcher bei ihr in die
Wand bohrte und seine Kollegin Karla Kothe der Dame das, vom Umzug schmutzige Geschirr aufwusch.
Mittlerweile lebt das Paar seit drei Jahren im Herzen Grünaus und fühlt sich wohl. 5. Etage, der Blick
nicht ganz so weit und in Richtung Westen, aber: »dafür bekommen wir jetzt mehr vom Treiben
auf der Straße mit«
, relativieren die Rautenbergs. »Es hat alles vor und Nachteile.
Den guten Hausgeist nennen die LWB-Mitarbeiter Stefan Rautenberg, weil er sich um so viele Dinge
kümmert.
Weil er beispielsweise Fahrradräume organisiert hat, die Grünfläche vorm Haus sauber hält oder für den
Kindergarten Zeitungen sammelt, die sonst im Hausflur herum liegen würden. «Zehn ehemalige
Nachbarn haben hier ebenfalls ein neues Zuhause gefunden, zwei von ihnen sogar auf derselben Etage wie
die Rautenbergs. Den Abriss der Weißdornstraße 100 haben sie aus einer Wohnung im zehnten Stock
verfolgt, Maria Rautenberg hat sich gar einen Stein als Andenken mitgenommen. Aber sie sind ausgesöhnt.
Als das Haus immer kleiner wurde, so sagen sie, da wurde es uns schwer ums Herz. Jetzt, da es weg ist,
ist es auch gut.
Klaudia Naceur